Friedensbewegung Israel/Palästina: Ein Funken Hoffnung auf eine friedliche Lösung
Der Gazakrieg hat die Arbeit der Friedensorganisation Combatants for Peace verändert. Ihre Kodirektorinnen über Frust und Chancen.
taz: Frau Koranyi, Frau Salman, mit der israelisch-palästinensischen NGO Combatants for Peace setzen Sie sich für Frieden und Verständigung ein. Hat sich Ihre Arbeit nach dem 7. Oktober verändert?
Eszter Koranyi: Die Herausforderungen sind größer geworden. Wir mussten am Anfang tief Luft holen und sehr schwierige Gespräche führen, aber sonst haben wir grundsätzlich das fortgeführt, was wir auch vor dem 7. Oktober getan haben.
Rana Salman: Aber das politische Klima hat sich deutlich geändert. Sowohl Israelis als auch Palästinenser*innen erleben eine Eskalation der Gewalt und fühlen eine tiefe Angst und Unsicherheit.
(40) ist palästinensische Kodirektorin von Combatants for Peace. Sie lebt in Bethlehem.
Zwei Monate lang konnten wir uns nicht treffen, weil die Straßen gesperrt waren. Mein Büro liegt im Gebiet C [im Westjordanland]. Ich konnte es nicht erreichen. Wir haben uns zum ersten Mal im Dezember wiedergesehen. Bei diesem Treffen wollten wir einen Safe Space für alle schaffen, in dem die Teilnehmer*innen ihre Gefühle und Ängste teilen konnten.
taz: Frau Koranyi, Sie haben gerade „schwierige Gespräche“ erwähnt. Sie sind Friedensaktivistinnen, aber waren Sie manchmal misstrauisch oder wütend auf die jeweils anderen, nach all dem Leid und der Gewalt?
(40) lebt in Jerusalem und ist jüdisch-israelische Kodirektorin der israelisch-palästinensischen NGO Combatants for Peace.
Koranyi: Für mich ist es ziemlich klar, dass die Hamas nicht alle Palästinenser*innen vertritt. Es gibt böse Gruppen überall. Die Hamas und die Hisbollah sehen uns wahrscheinlich nicht als Menschen, so wie viele Israelis Palästinenser*innen nicht als Menschen sehen. Aber ich weiß auch, dass viele anders denken und die Hisbollah oder die Hamas nicht unterstützen. Und ich verstehe, wieso es diese Entmenschlichung gibt: wegen der Besatzung, wegen Israels Kriegsverbrechen in Gaza in den letzten 20 Jahren. Als der Angriff passierte, war ich sehr verängstigt, aber nicht wütend.
Salman: Mein erstes Gefühl war Angst. Ich habe mir Sorgen über die Folgen gemacht. Ich war wütend auf die Hamas, weil Widerstand für mich anders funktioniert. Ich kann den Kontext verstehen, aus dem die Hamas kommt. Aber die Aktionen vom 7. Oktober kann ich nicht rechtfertigen, genauso wenig wie die Reaktion Israels. Ich ärgere mich über beide Regierungen und über die internationale Gemeinschaft und die USA. Denn sie hätten die Macht, das zu stoppen. Sie sagen, dass sie keinen regionalen Krieg wollen, aber dann bewaffnen sie Israel weiter.
taz: Waren Sie persönlich von der Gewalt betroffen?
Koranyi: Zum Glück habe ich niemanden verloren, aber ich kenne Menschen, deren Angehörige oder Freund*innen gestorben sind. Einige Aktivist*innen in unserem Team kommen aus Gaza, sie haben dort Familie. Die Lage ist sehr vulnerabel. Zu wissen, dass jeden Tag ein geliebter Mensch sterben könnte, ist eine sehr harte emotionale Situation. Bei dem jüngsten Angriff aus dem Iran habe ich meine Tochter vor Angst zittern gesehen. Auch für mich persönlich ist es schwer: Ich gehe auf Demonstrationen hier in Jerusalem, aber selbst viele Menschen hier, also Menschen, mit denen ich mich am meisten identifiziere, sehen das Leiden auf der anderen Seite nicht.
taz: Sie sagten, dass Sie sich zwei Monate lang nicht treffen konnten. Mussten Sie nach dem 7. Oktober auch etwas an Ihren Aktivitäten ändern?
Salman: Wir mussten manche Programme um einige Monate verschieben. Etwa unsere Bildungsprogramme für palästinensische Jugendliche: Es war ziemlich herausfordernd, junge Teilnehmer*innen aus dem gesamten Westjordanland nach Bethlehem zu bringen – wegen der Checkpoints und der Siedlergewalt. Wir wollten sie diesen Risiken nicht aussetzen. Aber als wir im März wieder anfingen, waren wir überrascht: Das Interesse junger Menschen war gestiegen.
taz: Man hätte das Gegenteil erwartet.
Salman: Ja, wobei man sagen muss, dass Umfragen zufolge die Unterstützung für die Hamas gestiegen ist. Und doch: Wir zielen mit unseren Programmen in Palästina auf 20 bis 25 Teilnehmer*innen. Aber im März haben wir plötzlich 93 Bewerbungen bekommen. Das war eine schöne Überraschung. In der israelischen Gesellschaft ist es genauso. Mehrere israelische Aktivist*innen wollten sich zum Beispiel unserer „schützenden Anwesenheit“ im Jordantal anschließen.
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taz: Aktivist*innen begleiten dabei palästinensische Hirten oder Bauern, um sie vor Angriffen von israelischen Siedler*innen zu schützen.
Salman: Ja. Diese schwierigen Zeiten haben die Augen vieler Menschen geöffnet für den Weg, den sie gehen möchten. Es muss nicht immer Gewalt sein.
taz: Wie reagieren die Palästinenser*innen und die Israelis heute auf Ihre Arbeit?
Koranyi: In Israel sagen jetzt auch viele derjenigen, die vorher an die Möglichkeit von Frieden geglaubt haben, dass der 7. Oktober ihnen die Augen geöffnet habe. Sie glauben nicht mehr, dass es auf palästinensischer Seite einen Partner für Frieden gibt. Wir haben also einige Unterstützer*innen verloren. Andererseits sagen auch manche Menschen, dass wir eine der wenigen Gruppen sind, die ihnen einen Funken Hoffnung geben.
Salman: In der palästinensischen Gesellschaft haben Vorwürfe, dass wir die israelische Besatzung normalisieren, unsere Arbeit schon immer erschwert. Aber seit dem Krieg ist alles schwieriger geworden. Die Menschen leiden und sind zornig.
taz: Die Lage in beiden Gesellschaften scheint sich zunehmend zu polarisieren. Wie gefährlich ist Ihre Arbeit?
Koranyi: Kein Teammitglied wurde belästigt, weder vor dem 7. Oktober noch danach. Aber die aktuelle Lage ist so, dass ich nicht jedem erzähle, für wen ich arbeite, weil ich nicht weiß, wie die Person reagieren wird. In Palästina ist es aber sicherlich anders.
Salman: Bei unserer Arbeit begegnen wir Militär, vielleicht Siedler*innen. Es kann sein, dass du verhaftet wirst oder dir Gewalt widerfährt. Und als Palästinenser*innen unterliegen wir – anders als Israelis – dem Militärgesetz.
taz: Durch wen erfahren Sie am meisten Gegenwind?
Koranyi: In Israel sind das die üblichen Verdächtigen: Rechte, manchmal Religiöse – aber nicht immer. Linke sagen eher, dass wir optimistische Närr*innen sind.
Salman: Ich habe manchmal das Gefühl, dass Palästinenser*innen im Ausland eine andere Vision für die Zukunft, für Frieden haben. Bei ihnen geht es eher um ein historisches Palästina.
taz: Historisches Palästina – das bedeutet?
Salman: Sagen wir so: Heute leben hier zwei Nationen, die dieses Land beide Heimat nennen. Wir von Combatants for Peace malen uns eine gemeinsame Zukunft aus, weil unsere Leben jetzt miteinander verflochten sind.
taz: Glauben Sie also immer noch an eine friedliche Lösung?
Koranyi: Natürlich, sonst wären wir nicht hier. Ob die Zweistaatenlösung oder jede andere Lösung, die beide Seiten akzeptieren – wir sind dafür. Beide Seiten werden auf Erwartungen und Gebiete verzichten müssen, aber am Ende ist es nicht so schwer. Man braucht nur eine politische Führung, die bereit ist, dies zu tun. Und Menschen, die dahinterstehen.
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