strübel & passig: Freunde auf der Arbeit
Deppen im Chat sind Menschen, die mit unendlich viel Zeit unendlich wenig anzufangen wissen. Den ganzen Tag scheinen sie auf den Monitor zu starren und nur darauf zu warten, dass jemand ihr dröges Leben ein bisschen bunter anmalt.
Diese Menschen haben mich das Grauen gelehrt. Und die Unhöflichkeit. Denn hat man erst einmal ein, zwei unverbindliche Floskeln mit ihnen ausgetauscht, hat man sie an der Backe. Für immer und länger, wenn’s dumm kommt.
Hängt man etwa bei der Arbeit im IRC, dem Chatsystem für Leute, die mit einem Computer tatsächlich arbeiten können, fangen sie an, einem mit einem „Query“-Anruf das Bein zu bespringen. „Pop“, geht ein Fensterl auf. Ein Typ, zu dem ich neulich einmal „Tag“ gesagt hatte. „Hi!!!“. Geht ja noch, bisschen laut vielleicht. „Naaaaaa???“ Hmpf. Hat er nicht das „WORK“ am Ende meines Nicks gelesen? Ich schweige. Soll er warten, bis er schwarz wird. Nein, warten will er nicht, er hat sich ja schon ewig nach mir verzehrt. „Lange nicht gesehn!!!!!“ und zwei Sekunden später: „was machstn um die Zeit hier??“ Arbeiten, denkt man. Steht doch drauf.
Ein mürrisches „bin busy“ hilft da nicht viel, es schürt vielmehr das kommunikative Feuer im Herzen unseres neuen Freundes fürs Leben. „Busy!!??“, schleudert mir der Aufmerksamkeits-Egel entgegen. „Aber du bist doch gar nicht idle!!!“ Nein, bin ich nicht. Im Query-Fenster nebenan ist nämlich die Passig, mit der ich gerade an einem zähen Text herumnage. Arbeit, eben. WORK. Wie der Nick schon sagt. „AHA!!! Erwischt!!!“, triumphiert der Depp. Um dann, mangels Reaktion meinerseits, die Schuldgefühlkarte zu ziehen: „Verstehe!! Du WILLST dich gar nicht mit mir unterhalten!!!“ „Richtig! Genau! Du hast es erfasst!“ Will man rufen. Und lässt es, weil man ja kein Arschloch sein will. Gereizt räumt man der Vernunft eine letzte Chance ein: „Bin halt am arbeiten.“
Das, liebe Leser, ist jetzt eine entscheidende Stelle. Hier scheidet sich nämlich Spreu von Überspreu, Depp von Volldepp. Der gutmütige Depp wird an dieser Stelle einlenken und sich, schmollend oder nicht, zurückziehen. Der Überdepp aber wird kontern: „Arbeiten??? Im IRC??!“ Und womöglich noch ein bitteres „Haha, was für eine blöde Ausrede“ anfügen.
Dabei ist das alles doch ganz einfach: Wenn ich in eine Kneipe gehe, verpflichte ich mich nicht, mit jedem dort höfliche Konversation zu betreiben. Wenn ich in einem Caf die Zeitung lese, ist es unhöflich, sich ungefragt dazuzusetzen und mir ein Gespräch abzunötigen. Schaue ich im Wohnzimmer fern, darf kein Fremder einfach so hereinspazieren, und von mir verlangen, ein andres Programm zu schauen oder gar für ihn Schnittchen zu machen. Nein, bei Gott nein! Ich brauche keine Ausrede! Meine Aufmerksamkeit gehört mir!
Am meisten schätze ich deshalb Menschen, in deren Beisein man stundenlang AFK sein kann. „Away From Keyboard“ heißt das. Muss ja nicht stimmen, aber wen geht das schon was an? Auf zwei Phrasen pro Stunde habe ich schon großartige Netzfreundschaften wachsen sehen. Schweigen ist nämlich tatsächlich, so binsen diese Weisheit sein mag, Gold. Und wenn die Welt das nicht verstehen will, dann setz ich sie künftig komplett auf ignore. Das ist mirc dann auch egal. IRA STRÜBEL
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen