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Freiräume hinterm Zaun

■ ITB-Podiumsdiskussion mit Politikern und Sachverständigen zum Thema: "Die künstlichen neuen Ferienwelten"

ITB-Podiumsdiskussion mit Politikern

und Sachverständigen zum Thema:

„Die künstlichen neuen Ferienwelten“

VONEDITHKRESTA

Beim Besuch der Internationalen Tourismus-Börse (ITB) in Berlin drängt sich unweigerlich die Frage auf: Was ist eigentlich nicht künstlich an unserer Urlaubswelt? Das Originäre der Länder ist längst durch ein entspannungs- und spaßwütiges, immergleiches Urlaubsangebot mit dem Fazit faltenloser Schönheit und vermeintlicher Idylle glattgebügelt worden. Diese dem touristischen Produkt immanente Tendenz soll nun in Ferienencentern und Freizeitparks vor der Haustür perfektioniert werden. Dieser Trend sei bislang sehr erfolgreich, konstatiert Rosemarie Noack von der Wochenzeitschrift 'Die Zeit‘ auf einer Podiumsdiskussion zum Thema „Die künstlichen neuen Ferienwelten“.

Für Sigurd Agricola von der Deutschen Gesellschaft für Freizeit sind „Freiräume hinterm Zaun“ eine „Errungenschaft mit Bauchgrimmen“. Professor Bruno Benthin vom Geographischen Institut der Uni Greifswald sieht die Großanlagen an manchen Standorten als durchaus berechtigte Alternative, an anderen als touristische Kolonisation. Entschieden dagegen spricht sich nur Hartmut Rein vom Institut für Landschafts- und Freiraumplanung an der TU Berlin aus. Natur werde vorgeführt; alles sei machbar. Diese Inszenierung werde auch noch als ursprüngliches Erleben verkauft. Der FDP-Politiker Olaf Feldmann, Vorsitzender des Fremdenverkehrsausschusses im Bundestag, räumt den künstlichen Ferienwelten die Chance ein, „das Mengenproblem unserer Freizeitgesellschaft“ zum Teil zu lösen und durch künstliche eingezäunte Welten das rar gewordene Natur-Original zu schonen.

Nach Naturreservaten schaffen wir nun Menschenreservate, und alles zum Schutz der Natur. Naturentfremdung soll mit Naturerlebnisräumen kompensiert werden. Doch der Weg zum naturschonenden Massenzentrum bringt zunächst zusätzliche Mobilität mit sich. Hohes Verkehrsaufkommen und riesige, zubetonierte Parkplätze gehen mit der scheinbar umweltschonenden Großanlage Hand in Hand. Forderungen wie den Anschluß an das öffentliche Verkehrsnetz lösen die Probleme längst nicht, da es an den konkreten Alternativen häufig mangelt. Dem „Mythos Auto“ wird auch mit einer Schnellbahnverbindung wie dem TGW ins Pariser EuroDisneyland allein keine Konkurrenz gemacht. Wo immer ein Freizeitzentrum eröffnet werde, verschlimmere sich die Situation drumherum, so Hartmut Rein. Zudem weiche man bei der Planung beispielsweise von Center Parcs längst von dem sinnvollen Konzept ab, die Anlagen in landschaftlich unattraktive Gegenden zu setzen. Gelöst wird das „Mengenproblem unserer Freizeitgesellschaft“ und die damit verbunden ökologischen und sozialen Auswirkungen natürlich nicht. Aber die Menge wird kanalisiert, neue Bedürfnisse, wie das karibische Wellenbad zu jeder Jahreszeit, werden massenhaft an den Mann, die Frau und vor allem das Kind gebracht. Denn besonders Familien mit Kindern nehmen die Angebote dieser Ferienzentren war.

Monströse Landschaftsfresser, die als neues Marktsegment unsere freien Stunden mit Spaß, Spiel und Spannung füllen sollen? Inbesondere in den neuen Bundesländern rennen die Investoren offene Türen ein. Benthin beklagt das mangelnde politische Engagement der linksrheinischen Bonner im „fernen Osten“ der Republik. „Wo 40 Prozent der Bevölkerung arbeitslos sind, haben die Konzerne mit solchen Projekten günstige Bedingungen.“ Die Verantwortlichen seien mit großen Versprechungen schnell zu ködern. Kommunen, die zu entscheiden haben, besäßen weder das Wissen noch den Überblick über die westlich importierten gewinnversprechenden Erschließungsprogramme, spult Hartmut Reins die Argumentation Benthins fort. Dessen Forderungen: Rahmenerschließungsprogramme, keine wirtschaftliche Monokultur Tourismus, Nutzen des Erfahrungsschatzes der betroffenen Länder bei Entscheidungen. „Westdeutsche machen die Tourismuskonzepte“, kritisiert auch Professor Armin Godau von der Dresdner Hochschule für Verkehrswesen. Ostdeutsche Kommunalpolitiker müßten sich stärker in diesen Prozeß einschalten. Olaf Feldmann kontert die Ost-Forderungen nach planerischer Gestaltung und politischem Handlungsbedarf mit dem Hinweis auf unsere pluralistische Vielfalt: „Sie sind kein zentraler Staat mehr“, gibt er den Ostsachverständigen zu verstehen. Das Leben in einem pluralistischen System wäre nun mal marktwirtschaftlicher und härter. Abwickeln! Abwickeln! So ist die arrogante Zurechtweisung Feldmanns letztlich zu verstehen.

„Moralisch verdammen“, soll man in der pluralistischen Gesellschaft, frei nach Feldmann, weder den unkontrollierten Ausverkauf noch die „Lust an künstlichen Ferienwelten“, wie dieser aufklärerisch fortfährt. Und: „60 Millionen Besucher jährlich können sich nicht falsch entscheiden, gibt auch Milly Dell von EuroDisney zu bedenken. „Sie wollen der Welt entfliehen, wir bieten ihnen eine Welt, die in Ordnung ist... So kommt unterm Strich ein schöneres Leben heraus.“ Das Abtauchen in eine sinnlich erfaßbare Phantasiewelt hat für jeden etwas verlockendes. Ein paar gut inszenierte Stunden aus zweiter Hand sind allemal Highlights im tristen Alltag. Flucht, wie es auf der Veranstaltung problematisiert wurde, ist dies allenfalls im Sinne eines beschwingten feucht-fröhlichen Abends bei Tante Annas Geburtstagsfeier. Abschalten und Verlustieren.

An dieser Tatsache der schönen Stunden, prahlt auch jene moralinsaure Kulturkritik ab, die wohl auch Olaf Feldmann im Sinn hat, wenn er die „mangelnde Eigenaktivität in diesen Zentren“ beklagt. Aus diesem pädagogischen Grund räumt er vorbeugend ein: „Ich fahre mit meiner Familie nicht in diese Zentren.“ Dies ist dann wohl Sache der pädagogisch und auch sonst weniger belesenen Masse mit dem Drang nach „Sensationen und Erleben“ (Agricola). Karibisches Wellenbad statt einem guten Buch im Vorstadtgarten?

Der Erlebnissog künstlicher Welten hat längst die bürgerlich-saturierte Vorstadtidylle erreicht. Der konsequenten Vermarktung von Bedürfnissen nach Erleben und Ausleben quer durch alle Bevölkerungsgruppen ist nichts entgegenzusetzten.

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