Freiheitskampf in der Ukraine und Iran: Angst als faule Ausrede
Mutlosigkeit ist ein Luxus, den sich Ukrainer und Iranerinnen nicht leisten können. Von ihnen sollten wir lernen, an die Kraft zum Wandel zu glauben.
M uss nur noch kurz die Welt retten, sang Tim Bendzko vor über zehn Jahren, und gefühlt lief dieser Song seit einem Jahrzehnt in Dauerschleife und machte die Runde um die Welt: Fast alle sind für irgendeine Weltrettung zuständig, und obwohl ich dankbar bin für jene Menschen, die unermüdlich wirken, macht sich in meinem Kopf zum Ende des Jahres die vollkommene Weltrettungsmüdigkeit breit, obwohl ich weiß, davon kommt nichts.
Ich versuche meistens auch, den Funken Hoffnung zu finden, die Handlungsfähigkeit des Einzelnen zu betonen, an die vereinte Kraft der vielen zu glauben. Vielleicht ist es zum Ende des Jahres aber auch möglich, gewisse Gefühle von Mut- und Machtlosigkeit auszusprechen, statt immer nur den Mutmuskel zu beschwören, wie so viele das derzeit notgedrungen tun. Zum Ende des Jahres das Zweifeln eingestehen, auch jene Momente zuzulassen, in denen ich denke, es führt doch alles zu nichts.
Warum sollte ich mich nicht einem Moment lang der Dystopie hingeben, zumal mich das neue Jahr mit seinen guten Vorsätzen bald schon einholen wird. Es gab zu Beginn dieses Jahres drei Tage, in denen mich Gefühle von Mut- und Machtlosigkeit völlig in Besitz nahmen.
Das war, als die ersten Bilder von russischen Panzern zu sehen waren, wie sie auf Kiew zurollten; ein taubes Gefühl von Ohnmacht, das sich einstellte, weil man denkt, man hat das Leid, das auf solche Bilder folgt, schon einmal gesehen und niemand wird es verhindern. Man zuckt nach dem Massaker von Butscha nur mit den Schultern, weil es niemand verhindert hat, es war ja vorhersehbar.
Mehr Respekt für die Ukrainer
Es sind Momente, in denen Begriffe wie Weltgemeinschaft wie Hohn erscheinen. Man könnte sich in Zynismus flüchten, bis man die Ukrainer selbst kämpfen sieht, bis man sieht, wie die Menschen dort die Kraft finden, sich zur Wehr zu setzen und uns so in die Pflicht nehmen: Wie können wir, die wir in Frieden leben, in Mutlosigkeit verharren, wenn die Ukrainer an der Hoffnung festhalten? Ist es für uns, die wir in Frieden leben, zu viel verlangt, mit den Kämpfenden zu hoffen?
Es hätte im deutschen Diskurs dieses Jahr viel mehr Respekt geben sollen vor dem Mut der Ukrainer, anstatt dass wir Debatten darüber führen mussten, wie viel Angst manche in Deutschland vor Putin haben. Die Debatten über die Ukraine zeigten, wie bequem wir Deutschen es uns gemacht haben mit unseren Ängsten, wie legitim es geworden ist, die eigenen Ängste öffentlich zu betrachten und sie trophäenartig als Entschuldigung für Handlungsunfähigkeit anzuführen.
Wer Angst hat, muss nicht handeln, wer Angst hat, der muss seine eigenen Ängste tätscheln. In den deutschen Dauerschleifen der Pseudodifferenzierung entsteht jedoch nichts als Lethargie. Manchmal, wenn deutsche Diskurse in dieser Selbstreferenzialität jedes Handeln zum Erliegen bringen, spüre auch ich, wie das Nichthandeln zur reizvollsten, selbstgefälligsten Option wird, weil man nicht mehr daran glaubt, etwas bewegen zu können.
In diesem Sinne war die Radikalität der Letzten Generation, ganz gleich wie umstritten manche Aktionen sind, ein Hoffnungsschimmer inmitten einer politischen Landschaft, in der sich die meisten mit den Beharrungskräften längst arrangiert haben. Sie lassen sich in ein Gefängnis sperren, obwohl sie wissen, dass es diese Gesellschaft mehrheitlich nicht interessieren wird, denn die klebt an ihren Routinen und würde lieber die Welt untergehen sehen als ihre liebgewonnen Gewohnheiten.
Machtlos zusehen müssen
Wenn in Deutschland Menschen, die für das Klima kämpfen, plötzlich zur RAF erklärt werden können, während Rechtsextreme und das Ausmaß ihrer Gewalt oft jahrelang im Verborgenen den Staat bedrohende Strukturen schaffen können, dann überrollt mich ein Gefühl von Mutlosigkeit, weil es zeigt: Auch ohne Horst Seehofer lebt der Irrsinn beliebiger Hufeisenvergleiche weiter.
Es war ein Jahr, in dem ich oft Angst hatte, meinen Twitter- oder Instagram-Account zu öffnen, weil die Freiheitskämpferinnen im Iran ihre Geschichten auf den sozialen Plattformen in die Welt setzten. Ja, die verfluchte Angst, die ich anderen so gerne ankreide, die mich überkommt, wenn ich weiß, ich sehe Bilder und Videos von Menschen, die um ihr Leben kämpfen und ich kann nicht viel mehr tun, als ihre Gesichter in meinen Texten teilen, eine Petition unterschreiben oder Menschen loben, die ihre Geschichten verbreiten helfen.
Nichts davon wird viel ändern. All die Momente, in denen es mir peinlich war, dass sich meine Hilfe im Teilen von Social-Media-Posts erschöpfen sollte, und doch schrieben Iranerinnen: „Thank you for being our voice.“ Jenseits des Zynismus, jenseits der Abgeklärtheit glauben sie an die Veränderung zum Besseren, während wir in den freieren Teilen der Welt den Kopf über ihre Freiheitsbewegung beugen und richten, ob sie es dieses Mal schaffen, das Regime zu stürzen oder ob es „wieder nur“ ein Aufbäumen ist.
ist Schriftstellerin, Dramatikerin und Kolumnistin. Sie lebt in Heidelberg und ist Mitglied des PEN-Zentrums. Ihr letztes Buch, „Sheroes. Neue Held*innen braucht das Land“, erschien 2019.
Die Bilder aus Afghanistan, die zeigen, wie die Taliban in Schulen tanzen, weil sie Mädchen und jetzt auch Frauen den Zugang zu Universitäten verweigern. Ich denke dabei auch an deutsche Soldaten, die dort im Einsatz waren, die ihre Lebenszeit gaben, weil sie dachten, sie bauen ein lebenswerteres Afghanistan auf. Diese Mutlosigkeit, wenn ich denke, alles, was man tun kann, ist das Elend der Welt über Posts und Kacheln mit in die Welt zu schreien, weil auch ich kurz die Welt retten will, wie viele andere auch.
Ich wünsche mir fürs nächste Jahr, dass wir mehr Kraft finden, die Welt nicht nur zu retten, sondern eine neue Ordnung zu schaffen. So mutlos, dass ich vergesse, jeder entscheidende politische Wandel ging von Menschen aus, bin ich selbst Ende des Jahres nicht. Wir müssen nur noch lernen, so sehr an die Kraft zum Wandel zu glauben wie jene Menschen, die in Regimen leben, in denen sie alles für ihre Überzeugungen aufs Spiel setzen.
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