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„Freiheit und Democracy...“

■ Am 18. November startet der „anachronistische Zug“: „Brecht statt Deutschland über alles“

Bonn (taz) — „Steuer - Spender- Zins - Eintreiber, Deutsches - Erbland - Einverleiber, Blut und Dreck in Wahlverwandtschaft, zog das durch die deutsche Landschaft, rülpste, kotzte, stank und schrie: Freiheit und Democracy“, dichtete Bertold Brecht vor über vierzig Jahren. Ab 18. November soll sich Brechts „anachronistischer Zug“ erneut über die deutschen Straßen wälzen, von Bonn gen Osten bis zum Berliner Reichstag.

Mit insgesamt 50 Fahrzeugen, darunter Militärlastwagen, Geldtransportern und Luxuslimusinen, einem riesenhaften Bismarck-Denkmal, dem Bundesadler und Hundertschaften an Darstellern von Militaristen, Politikern, Konzern-Bossen, Revanchisten und Erbland-Einverleibern soll das bildhaft umgesetzte Brecht-Gedicht zwei Wochen lang dem gesamtdeutschen Wahlkampf nach den Vorstellungen der Veranstalter „das Gepräge geben, das er verdient angesichts der Art und Weise, wie dieses Wahlgebiet zusammengezimmert wurde“.

Dieses Vorgehen „verspricht für die Zukunft nichts Gutes, und wir wollen dazu beitragen, daß sich die deutsche Geschichte nicht noch einmal in irgendeiner Weise wiederholt“, heißt es im Aufruf der Initiative, zu deren Erstunterzeichnern unter anderen Jutta Ditfurth, Bernt Engelmann, Ibrahim Böhme und Gregor Gysi gehören. Die PDS-Lastigkeit der Unterstützer war allerdings für den Bundesvorstand der Grünen Anlaß, dem Spektakel seine Unterstützung zu versagen.

Zum dritten Mal — nach 1979 anläßlich der Wahl des NSDAP- Mitglieds Carl Carstens zum Bundespräsidenten und 1980, als Franz Josef Strauß als Kanzlerkandidat antrat — soll der anachronistische Zug zeigen, „wer dauernd von Freiheit schlechthin redet und dabei nur Freiheit für sich meint“. Vor zehn Jahren, als unter dem Motto „Brecht statt Strauß“ der Zug vom bayerischen Sonthofen nach Bonn strebte, war die Demonstration das Ziel von Polizeieinsätzen und Justizattacken gewesen.

Jetzt soll der Marsch nach den West-Stationen Köln, Frankfurt und Kassel überwiegend auf dem Gebiet der ehemaligen DDR unterwegs sein und dort die „Ansicht derer auf die Straße bringen, die gegen die Einverleibung der DDR durch den Bonner Staat sind wie auch derer, die dem Volk der DDR die Zeit und die Möglichkeit gewünscht hätten, selbst herauszufinden, wie es seine Zukunft sehen will, statt zum Anschluß erpreßt zu werden“.

Die Veranstalter suchen für den Zug noch heftig nach Mitspielern — und nach Geld. Denn billig ist das Spektakel nicht; veranschlagt sind eine halbe Million Mark. Gerd Nowakowski

Nähere Informationen über die Telefon-Nummer 089/5028357 zu erhalten.

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