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Comeback der afghanischen FußballerinnenFreiheit auf dem Rasen

Die Fifa will dem geflüchteten afghanischen Nationalteam der Frauen Freundschaftsspiele ermöglichen. Vorkämpferin Khalida Popal fordert mehr.

Vorkämpferin Khalida Popal Foto: imago

Angst ist ein ständiger Begleiter von Khalida Popal. Sie sagt: „Mein Leben ist immer noch gefährlich. Jeder Tag in Afghanistan war gefährlich. Wenn Eltern ihre Kinder vormittags in die Schule geschickt haben, wussten sie nicht, ob sie nachmittags wiederkommen.“ Aber deswegen nicht den Kampf fortzuführen, kommt für sie nicht infrage.

Aufgewachsen in Afghanistan, bedroht, verfolgt, geflohen, lebt die 37-Jährige inzwischen in Kopenhagen. Sie hat entscheidend daran mitgewirkt, dass nach der Machtübernahme der Taliban im August 2021 viele afghanische Fußballerinnen ausreisen konnten. Fast vier Jahre später hat der Fußball-Weltverband Fifa eine Strategie für den afghanischen Frauenfußball verabschiedet, „welche die Gründung des afghanischen Frauenflüchtlingsteams vorsieht und der Fifa-Administration das Mandat erteilt, den Betrieb zu organisieren und zu erleichtern, damit die Aktivitäten so bald wie möglich aufgenommen werden können“.

Fifa-Präsident Gianni Infantino erklärte: „Dies ist eine bahnbrechende Initiative.“ Khalida Popal sagt: „Wir sind stolz darauf, Teil der Geschichte zu sein und bei der Gründung der ersten Flüchtlingsfußballmannschaft der Fifa mitzuwirken.“ Sie leitet unterdessen die von ihr gegründete NGO „Girl Power Organisation“, die sich für Sport und Bildung für Mädchen in Europa und dem Mittleren Osten einsetzt. Endlich wird ihre Forderung erfüllt, dass die in Australien, Kanada, Italien, Portugal, England und Deutschland verteilten afghanischen Nationalspielerinnen die Plattform Fußball zurückbekommen.

Mit dem FC Melbourne Victory gibt es einen Klub, der in der Vergangenheit bereits Unterstützung leistete – vermutlich wird sich das Flüchtlingsteam auch an der Südküste Australiens auf die Freundschaftsspiele unter Fifa-Hoheit vorbereiten.

Hoffnung auf offizielle Anerkennung

Die Rückkehr aufs Spielfeld ist für Khalida Popal nur der erste Schritt. „Wir hoffen jedoch weiterhin, dass die Fifa ihre Statuten ändert, damit unsere Spielerinnen offiziell als afghanische Frauen-Nationalmannschaft anerkannt werden.“ Nach dem Ethikcode der Fifa sind sämtliche Verbände verpflichtet, niemanden wegen seines Geschlechts zu diskriminieren. Die Männer-Nationalmannschaft Afghanistans nimmt aktuell an der Qualifikation zum Asien-Cup 2027 teil, während die Frauen-Auswahl wieder abgeschafft wurde.

Khalida Popal ist als deren frühere Gründerin die stärkste Stimme des afghanischen Frauenfußballs. Wie es überhaupt dazu kam, hat sie in einem auch auf Deutsch erschienenen Buch beschrieben. „Meine wundervollen Schwestern“ heißt ihre Autobiografie: „Eine Geschichte über Mut, Hoffnung und das afghanische Frauen-Fußballteam“.

Als liberal erzogenes Mädchen spielte sie Anfang der 90er Jahre noch mit den Jungs in den Straßen von Kabul Fußball, ehe die nicht sehr reli­giöse Familie 1996 das erste Mal vor den Taliban nach Pakistan flüchtete. Teile ihre Kindheit verbrachte sie in einem riesigen Flüchtlingslager.

In Zeiten vor den Taliban: das afghanische Nationalteam beim Training 2013 in Kabul Foto: imago

Nach der Stationierung der Nato-Truppen kehrte sie in die afghanische Hauptstadt zurück. Da war sie gerade 15 – und entdeckte bald den Fußball als Instrument der Befreiung. Sport war bis dahin eine Männerveranstaltung, „sie wollten nicht, dass sich das ändert. Aber die Norm lässt sich immer ändern.“ Sie schaffte es unter widrigsten Umständen, immer mehr Frauen für den Fußball zu begeistern. Ihr Antrieb: „Der einzige Ort, an dem man Freiheit spürte, war das Spielfeld.“ Mit ihrer Beharrlichkeit brachte sie es 2007 zur ersten Kapitänin des Frauen-Nationalteams, das überwiegend im Ausland auftrat.

Eklat nach Spiel gegen Nato-Soldaten

Sie übernahm zwischenzeitlich auch als Finanzdirektorin des Fußballverbands Verantwortung, denn der Präsident war angeblich müde davon, dass die meisten Männer auf diesem Posten mit dem Geld verschwanden. Khalida Popal sagt: „Ich war es satt, dass Männer für uns und über uns entscheiden. Es gab keine Frauen vor mir.“

2010 organisierte sie in Kabul ein Spiel gegen Nato-Soldaten, was einen landesweiten Eklat auslöste. Einige Spielerinnen mussten aufhören, sie erhielt Morddrohungen. Nachdem ein Lastwagen gegen ihr Auto raste, Schüsse auf sie abgegeben wurden und die Polizei einen Haftbefehl erließ, blieb ihr 2011 nur noch die Flucht. Sie lebte zunächst in Flüchtlingsunterkünften in Norwegen und Dänemark, ehe sie sich als Programmdirektorin aus dem Exil wieder für das Frauen-Nationalteam Afghanistans einsetzte.

Die gewaltsame Machtübernahme der Taliban vor knapp vier Jahren war für sie ein Schock: „Meine Heimat war nie ein sicheres Land für Frauen. Aber es gab eine Entwicklung in der Musik, in der Kunst und im Sport, die in die richtige Richtung wies.“ In den Augen der Islamisten ist für Frauen im Sport kein Platz. Sie sollen kochen, putzen, Kinder bekommen und schweigen, wenn Männer über sie bestimmen. 20 Jahre Arbeit, Milliarden an Investitionen fühlten sich auch für Khalida Popal verloren an – schlimmer als ein Fußballspiel, „das man beherrscht und in der letzten Minute durch ein unglückliches Tor verliert“.

Es mutet wie ein Wunder an, dass sie es in dem Chaos über ihr Netzwerk schaffte, rund 600 Menschen zu helfen. Das afghanische Frauen-Nationalteam, aber auch viele Juniorenfußballerinnen und deren Familien führte sie mithilfe von Menschenrechtsorganisationen, der Spielergewerkschaft Fifpro und den amerikanischen Militärs per Flugzeug oder auf geheimen Routen in die Freiheit.

Die Lage für Frauen hat sich unter dem Terrorregime in ihrer Heimat dramatisch verschlechtert. Aber sie spricht auch die gewaltige Spanne zwischen Feigheit und Heldentum von (Fußball-)Organisationen an. Sie nimmt vor allem die Fifa in die Pflicht: „Der afghanische Fußballverband erlaubt Frauen nicht, Sport zu treiben. Das ist Diskriminierung. Die Taliban sind nicht unsere Regierung.“ Sie wisse aus den vielen Kontakten, dass sich einige Frauen ihres zerrütteten Landes gegen die Geschlechter-Apartheid auflehnen würden. „Afghanistan ist ein mahnendes Beispiel: Wenn wir nicht unsere Stimme erheben, dann gewinnen die Menschen, die unser Schweigen nutzen.“

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