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Binnen kürzester Zeit ein neues Gesicht und internationales Renommee erlangt: Das Ballet du Grand Théâtre de Genève gastiert mit drei Choreographien bei den 29. Ballett-Tagen

Choreographie ist ein zu enger Begriff für Teshigawaras Gesamtkunstwerke

von MARGA WOLFF

Seit Saburo Teshigawara 1994 mit dem Ballett Frankfurt zusammenarbeitete, zeigen sich Ballettensembles überall in Europa fasziniert von der Idee, den japanischen Choreographen und Tanzmagier für ein Stück zu verpflichten. So auch das Ballet du Grand Théâtre de Genève, für das Teshigawara 2002 die Choreographie Para-Dice kreierte. Selbstverständlich hat die Schweizer Compagnie jetzt bei ihrem Gastspiel in der Staatsoper das ephemere Tanzpoem mit im Gepäck, das einen Höhepunkt bei den 29. Hamburger Ballett-Tagen verspricht.

Zusammen im Programm mit Mark Morris‘ Choreographie Pacific und Words No Longer Heard von Giorgio Mancini, dem künstlerischen Direktor des Genfer Balletts, steht wohl ein Abend der Gegensätze an, wenngleich alle drei Choreographien einen weitgehend abstrakten modernen Tanz erwarten lassen. Überhaupt liest sich die Liste der für das Repertoire der Compagnie verantwortlichen Tanzschöpfer wie ein Who is who der modernen Choreographie – mit Namen wie William Forsythe, Ohad Naharin, Dominique Bagouet, John Neumeier oder Maguy Marin. Ballettchef Mancini hat es in nur sechs Jahren geschafft, dem Ensemble, dem er seit 1991 als Tänzer angehörte, ein neues Gesicht und internationales Renommee zu geben.

Sein Stück Words No Longer Heard zur Musik des US-Amerikaners John Adams hat der 39-jährige gebürtige Italiener 2002 für sein Ensemble choreographiert. Vor dem Hintergrund mythologischer Stoffe beschwört Mancini die Macht des Eros, Aristophanes‘ Interpretation der Liebe in Platons „Gastmahl“ ist eine der Textvorlagen. Im Tanz versucht er mehrere Bedeutungsebenen freizulegen in einer Auseinandersetzung mit der (vermeintlichen) Natur der Geschlechter, mit Androgynität und gleichgeschlechtlicher Liebe. Auch religiöse und ideologische Aspekte spart der an der Brüsseler Mudra-Schule ausgebildete Tänzer dabei nicht aus.

Mit Mark Morris‘ Pacific, ursprünglich 1995 für das San Francisco Ballet kreiert, ist ein Stück reiner Modern Dance zu sehen. Die typischen Spiralformen werden in in diesem abstrakten Werk raffiniert ausgelotet und verwoben. Der Amerikaner Morris, der zusammen mit Michail Baryschnikow das „White Oak Dance Project“ ins Leben rief und heute sein eigenes Zentrum in Brooklyn leitet, hat Pacific in diesem Jahr an die Genfer Compagnie übergeben.

Saburo Teshigawara gilt als Kosmopolit, der sich keiner Konvention unterwirft und doch zahlreiche, vor allem europäische Choreographen beeinflusst hat. Die Auftritte mit seiner japanischen Compagnie Karas sind Kultereignisse im internationalen Tanzgeschehen. „Ich bin ein vorwärts strebender Mensch“, hat sich der 49-Jährige einmal selbst charakterisiert, „doch ich agiere von einem starken Hintergrund aus.“ Den würde er weder als östlich noch als westlich bezeichnen. Denn solche Sichtweisen führen seiner Meinung nach in eine Sackgasse. Kultur, davon ist er überzeugt, entstehe aus dem, was den Menschen gemeinsam ist.

Dennoch ist es für Tänzer einer westlichen Ballettcompagnie eine große Herausforderung, in das Universum dieses Ausnahmekünstlers einzutauchen: Choreographie ist ein zu eng gefasster Begriff für Saburo Teshigawaras Gesamtkunstwerke aus Tanz, Klang, Licht und Raum. Er bringt die Luft zum Tanzen, die Leere will er transzendieren, bis sie zu purer Poesie gerinnt. So auch in Para-Dice, dessen Titel sich aus den Worten Paradies und Dice (Würfel) ableitet. Den Kritiken zufolge scheint hier für die Tänzer – wie auch für die Zuschauer – für Momente wirklich das Paradies zum Greifen nah.

Giorgio Mancini wird in diesem Jahr übrigens – wie bereits 2001 – Mitglied der Jury für den Prix Dom Pérignon sein, wenn am 1. Juli zum dritten Mal der Wettbewerb für den europäischen Choreographennachwuchs über die Staatsopernbühne geht. Neben einer Summe von 8000 Euro Preisgeld winkt dem Gewinner dabei die Übernahme des Stücks in das Repertoire des Hamburg Balletts. Und vielleicht macht Mancini ja eine Entdeckung für die eigene Compagnie.

Dienstag, 2.7., Staatsoper