: Freier Welthandel ade
Wenn heute die neue GATT– Runde über Zölle, Importbeschränkungen, Protektionismus und Liberalisierung des Welthandels eröffnet wird, dann wird die offzielle Rhetorik die harten Interessenskonflikte kaum überdecken können. Schon lange war der Weltmarkt nicht mehr so weit vom Anspruch des freien Welthandels entfernt. Drei große Ländergruppen werden sich um die Aufteilung des Weltmarktes und die Spielregeln des internationalen Konkurrenzkampfes streiten: Es sind die Entwicklungsländer (darunter vor allem die Gruppen der Schwellenländer), die USA und Europa. Schwellenländer mit Exportinteressen Die sogenannten Schwellenländer konnten in den 70er Jahren enorme Exportzuwächse erreichen. Zehn bis 20prozentige Wachstumsraten waren da keine Ausnahme. Waren es in den 60er Jahren noch vor allem arbeitsintensive Fertigwaren wie Bekleidung und Schuhe, so erweiterte sich die Exportpalette immer mehr auf kompliziertere Massen– und Grundstoffgüter wie Stahl, Rüstungsgüter, Autos, ja sogar Computer. Der Staat drückte die Löhne, vergab hohe Subventionen auf den Exportsektor, gewährt großzügige Steuervergünstigungen oder sorgt für massive Zinssenkungen. Und so gelang es den großen Schwellenländern, mit Hilfe multinationaler Konzerne relativ schnell, die technologische Kompetenz zur Herstellung komplizierterer Industriewaren zu bekommen. Die Kehrseite der Medaille war eine rapide wachsende Verschuldung und so sind Staaten wie Brasilien, Südkorea oder Argentinien heute auf die Fortsetzung dieses Exportmodells angewiesen, um Zins– und Tilgungszahlungen zu bewältigen. Sie fordern daher eine weitere Öffnung europäischer und amerikanischer Märkte oder zumindest keine weiteren protektionistischen Maßnahmen. Das amerikanische Handelsbi lanzdefizit nimmt immer bedrohlichere Ausmaße an. Ganze Industrien und Regionen sind vom Importboom seit Anfang der 80er Jahre in ihrer Existenz bedroht. Die industrielle Produktion stagniert. Daher wächst auch in den USA der innenpolitische Druck, Handelsbarrieren aufzubauen. Bei allen Sonntagsreden ihres Präsidenten fahren die Amerikaner inzwischen einen aggressiven aussenwirtschaftlichen Kurs: In Alleingängen schotten sie ihre Märkte ab - so muß z.B. Indonesien seine Textilexporte um 89 Prozent senken. Mit Brasilien droht ein Handelskrieg um High– Tech, Computer und Autos. Fünf Milliarden Dollar Handelsüberschüsse im letzten Jahr, die die Brasilianer gegenüber den USA erwirtschaften konnten, sind dann doch zuviel für die amerikanische Industrielobby. Es ist ein Treppenwitz der Geschichte: Jahrzehntelang forderten die Industrieländer die Weltmarktintegration der Entwicklungsländer und ihre exportorientierte Industrialisierung und erzwangen sie zum Teil durch die Auflagenpolitik des IWF, und wenn diese Politik nun erfolgreich ist, schotten sie ihre Märkte ab. Auch gegenüber den anderen Industrieländern wird die Rhetorik der USA schärfer: Nachdem die Welt in den letzten Jahren das gewaltigste Rüstungsprogramm seit dem Zweiten Weltkrieg finanziert hat, soll sie sich jetzt als wachsender Absatzmarkt anbieten, um die darnieder liegende amerikanische Industrie zu päppeln. Ihre große Chance wittern die Amerikaner im Export von Dienstleistungen (siehe nebenstehenden Artikel). Die USA pochen auf die Liberalisierung dieser Bereiche: Das Post– und Fernmeldemonopol in den meisten Ländern soll aufgelöst werden. So können einige private Anbieter die gewinnträchtigen Telefon– und Zustellungsleistungen übernehmen, die teueren dürfen dann weiter vom Staat übernommen werden. Dollars und Rambo sollen über Satellit direkt die Menschen in den Slums beglücken und amerikanische Datenbanken, die über 3/4 des Weltinformationsmarktes auf diesem Bereich beherrschen, sollen freien Zugriff und freie Laufbahn für ihre Informationen bekommen. Die Banken schließlich sollen von lästigen Kapitalsverkehrskontrollen befreit werden. Liberale Rhetorik und protektionistische Praxis Freier Welthandel ist auch in Europa innerpolitisch nicht durchsetzbar. Zu hoch sind die sozialen Kosten einer Gesundschrumpfung in der Textilindustrie, dem Stahlsektor und beim Schiffbau. Rationalisierung und steigende Arbeitslosigkeit werden in diesen Bereichen durch die Niedriglohnkonkurrenz beschleunigt. Die Rettung bietet da nur noch ein fast planwirtschaftlich organisierter europäischer Stahlmarkt oder ein Welttextilabkommen, daß feste Produktionsmengen festlegt, die in die EG herein dürfen. Insbesondere aber der europäische Agrarmarkt ist Grund für Auseinandersetzungen mit den Entwicklungsländern: Kostet doch allein die Abschottung des europäischen Zuckeranbaus vom Weltmarkt die Entwicklungsländer insgesamt 7 Mrd. Dollar. Um trotz dieser gegensätzlichen Interessen noch eine einheitliche Verhandlungsgrundlage zu finden, hat im Vorfeld der GATT–Runde eine Initiativgruppe kleinerer Industrieländer, darunter die Schweiz, Neuseeland und Australien eine Kompromißformel erarbeitet: Für die Amerikaner springt das Thema Dienstleistungen heraus. Neue Handelshemmnisse sollen nicht aufgebaut werden. Die Europäer haben den Entwicklungsländern vage zugesagt, auf eine Reziprozitätsklausel zu verzichten (wir öffnen unsere Grenzen nur, wenn Ihr dasselbe tut). Nun soll sich jedes Land nach bestem Willen um eine Öffnung seiner Grenzen bemühem, ohne daß daran Bedingungen geknüpft werden. Christian Hey
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