: Freie Wirtschaft in Großisrael?
Benjamin Netanjahu war nicht der Kandidat der Wirtschaft,die Wahlversprechen an die religiösen Parteien werden teuer ■ Aus Tel Aviv Amos Wollin
Mit der überraschenden Abwahl der Peres-Regierung und der Übernahme des Regimes durch den Likud steht auch die israelische Wirtschaft vor der Frage: Wie soll das nun weitergehen? Was wird sich ändern? Was wird aus dem regionalen Friedensprozeß, der als Motor der positiven Wirtschaftsentwicklung in Israel angesehen wurde?
Auch mit Rücksicht auf den besorgten großen amerikanischen Bruder gab der neue Regierungschef Benjamin Netanjahu gleich nach seinem Wahlsieg beruhigende Erklärungen ab: Es bestehe keinerlei Absicht, den Friedensprozeß abzubrechen oder bestehende Abkommen in Frage zu stellen. Im Bereich der Wirtschaft soll vor allem der Privatisierungsprozeß rascher vorangetrieben und Transaktionen durch Entbürokratisierung vereinfacht werden.
Fremde Investoren und fast die gesamte israelische Wirtschaftsführung hatte auf einen Sieg der Arbeitspartei gesetzt, mit deren Politik sie inzwischen vertraut und im Grunde auch zufrieden war. Im Wahlkampf hatten sich die Manager zumeist offen auf Peres' Seite geschlagen und schienen nach der unerwarteten Wende ebenso betreten und perplex wie die amerikanischen, europäischen und arabischen Regierungen.
Doch bald nachdem man sich vom ersten Schock und der Destabilierungsangst erholt hatte, kamen die Spitzen der Industrie und der Handelskammern mit ihrer Forderung nach Bildung einer Regierung der „nationalen Einheit“, an der sich – trotz des Wahlverlustes – auch die Arbeitspartei beteiligen sollte. Auf der politischen Ebene wurde dieser Wunsch auch von den diplomatischen Vertretern der Clinton-Regierung in Tel Aviv unterstützt. Sowohl in der Arbeitspartei als auch in der Likud-Führung gibt es Kreise, die ihren Einfluß in dieser Richtung geltend machen.
Jedes Jahr 12 Milliarden Dollar Handelsdefizit
Die Arbeitspartei hatte für den Fall ihres Wahlsiegs Einsparungen im Staatshaushalt versprochen, um die 12prozentige (jährliche) Inflationsrate zu reduzieren. Dem neuen Ministerpräsidenten Netanjahu dürfte das schwerfallen, unter anderem, weil er seine kostspieligen Wahlversprechen den religiösen Parteien gegenüber einhalten muß. (Noch zu bezahlen sind außerdem die nicht unbedeutenden Kosten der letzten Militäroffensive „Früchte des Zorns“ im Libanon.)
Ein anderes Problem, das einer Lösung bedarf, ist Israels großes Defizit in der Handelsbilanz – jetzt ungefähr 12 Milliarden Dollar im Jahr. Das Land bleibt von – vor allem amerikanischer – Finanzhilfe abhängig: mehr als eine Milliarde Dollar jährlich pro Million israelischer Bürger. Ausländische Investoren, die in den letzten Jahren begonnen haben, sich für Israel als Partner und zukünftige Durchgangspforte zu Märkten seiner Umgebung zu interessieren, wollen nun einstweilen abwarten und zusehen, wie sich die Politik der neuen Regierung gestaltet. Angesichts der Unsicherheit kann gegenwärtig auch der bereits eingeleitete Verkauf großer vom Staat verwalteter Vermögenswerte wie zum Beispiel die der israelischen Bank Hapoalim (früher im Besitz der Gewerkschaftsorganisation) nicht vollzugen werden.
Sprecher des Likud versuchen einstweilen, eine Trennungslinie zwischen wirtschaftlichem Wachstum und dem Friedensprozeß zu ziehen, von dem sich Peres einem aufblühenden „neuen Nahen Osten“ versprach. Israelischen Medien gegenüber meinte Mosche Kazav, der jetzt für den Likud die Verhandlungen mit den möglichen Koalitionspartnern leitet, daß Israels wirtschaftliche Erfolge dem von der Arbeitsparteiregierung eingeleiteten Friedensprozeß vorangegangen und bereits unter der früheren Likud-Regierung zustande gekommen seien. Kazav weist in diesem Zusammenhang darauf hin, daß der Frieden mit Ägypten und Jordanien bisher so gut wie keinen Einfluß auf den israelischen Außenhandel hat und daß die groß aufgemachten, von Peres angeregten internationalen Wirtschaftskonferenzen in Casablanca und Amman nur von sehr geringen praktischen Erfolgen gekrönt waren.
Ariel Scharon möchte Finanzminister werden
Schon der ständig betonte Hinweis auf den Friedensprozeß erzeuge ein positiveres Klima, in dem sich auch die Wirtschaft besser entwickeln könne, meint Kazav und findet, daß das so auch weiterhin so funktionieren könne. In Wirklichkeit kann es aber auf die Dauer nicht nur um Schein und eine durch Propaganda erzeugte Atmosphäre gehen. Ob Investoren kommen oder lieber gehen – darüber entscheiden harte Tatsachen und Analysen, keine sentimentalen Phantasien.
Das neue Regime wird Farbe bekennen und seine Vertrauenswürdigkeit unter Beweis stellen müssen. Als erster Indikator wird die Auswahl der Person sein, die Netanjahu zu seinem Finanzminister ernennt. Ariel Scharon verlangt diesen Posten für sich, aber Netanjahu kennt die damit verbundenen Gefahren und ist realistisch genug, um sich diesem Wunsch zu widersetzen.
Die Verwirklichung einer wettbewerbsfähigen und maximal privatisierten „wirklich freien Marktwirtschaft“, die sich Netanjahu auf die Fahne geschrieben hat, ist bestimmt nicht vereinbar mit politischen Zielen, die sich auf die ideologischen Großisrael-Aspirationen (oder Illusionen) des Likud und seiner orthodoxen und nationalreligiösen Koalitionspartner stützen.
Vielleicht wird es zu keiner klaren Entscheidung kommen. Wahrscheinlicher ist ein Kompromiß, der sich nicht sehr wesentlich vom pragmatischen Zugang zu Politik und Wirtschaft unterscheidet, der für das Regime Rabin-Peres in den vergangenen vier Jahren charakteristisch war. Diese Tendenz würde sich bestimmt durchsetzen, wenn es schließlich zur Bildung einer großen Koalition der „nationalen Einheit“ zusammen mit der Arbeitspartei käme.
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