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Archiv-Artikel

Freie Kleidungswahl für alle

betr.: „Eine fahrlässige Debatte“ von Barbara John, taz vom 27. 2. 04 und Reaktionen darauf, LeserInnenbriefe, taz vom 3. 3. 04

Man sollte ein Grundrecht nicht gegen das andere ausspielen: Frauen haben wie Männer das Recht, die Art ihrer Kleidung selbst zu bestimmen. Die Reaktionen auf Barbara Johns Plädoyer für eine stärkere Beachtung der nach Art. 4 unserer Verfassung garantierten Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit in der Kopftuchdebatte zeigen einmal mehr, wie sehr die Befürworter eines Kopftuchverbots den unreflektierten Klischees verhaftet sind, die sie der „Allianz zwischen Linken und Islamisten“ vorwerfen, die sie zu bekämpfen glauben. Islamistischem Terror lässt sich nicht durch eine staatliche Einschränkung der Grundfreiheiten von Frauen vorbeugen, zu denen neben der in Art. 3 des Grundgesetzes festgeschriebenen Gleichberechtigung eben auch die im folgenden Artikel zugesicherte Religionsfreiheit gehört. […] Eine in staatlichen Institutionen vorgeschriebene Kleiderordnung, die den vielschichtigen persönlichen, kulturellen, religiösen und manchmal auch politischen Begründungen für das Tragen von Kopftüchern keinen Raum lässt, erschwert die Auseinandersetzung sowohl mit eigenen als auch mit fremden Vorstellungen.

Der Staat ist nach Art. 3 Abs. 2 dazu verpflichtet, „die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern“ zu fördern, aber er sollte Frauen nicht dazu zwingen, alle ihnen aufgrund der Gleichberechtigung zustehenden Rechte auch tatsächlich wahrzunehmen. Im Einzelfall: Frauen haben wie Männer das Recht, selbst darüber zu entscheiden, welche Kleidung sie aus welchen Gründen tragen wollen. Muslimische Frauen, die sich freiwillig für das Tragen eines Kopftuches entscheiden, machen genauso von diesem Recht Gebrauch wie jene, die sich freiwillig dagegen entscheiden. Und diejenigen, die ihr verfassungsmäßig garantiertes Recht auf Gleichberechtigung nicht wahrnehmen, weil sie sich familiärem Druck beugen und, um keine Konflikte zu provozieren, ein Kopftuch aufsetzen, sollte der Staat nicht zwingen, dieses wieder abzunehmen. Der Staat zwingt seine Bürger auch nicht dazu, ihr Versammlungsrecht oder ihr Recht auf Meinungsfreiheit wahrzunehmen. Er kann nur daran appellieren, dies freiwillig zu tun, und er muss verhindern, dass irgendjemand diesen Menschen ihre Rechte abspricht. Die strafrechtliche Bekämpfung verfassungsfeindlicher Gruppierungen sowie der Schutz von Frauen, denen die Ausübung ihrer Grundrechte (im Extremfall unter Bedrohung ihres Lebens) verwehrt wird, sollten denjenigen Institutionen überlassen bleiben, die dafür gesetzlich vorgesehen sind: Polizei und Verfassungsschutz.

Und wer darüber hinaus etwas für die in unserer Gesellschaft bei weitem nicht konkretisierte Gleichberechtigung der Geschlechter tun will, sollte mal einen Blick auf die aktuellen Daten zur Verteilung der Karrierechancen von Frauen in Universitäten und im Wirtschaftsleben werfen und darüber nachdenken, ob es nicht angemessener wäre, den Schwerpunkt der frauenrechtlichen Debatte von den Kopftuchträgerinnen wieder auf andere Themengebiete zu lenken, die gesellschaftlich relevanter sind.

DIDI HOPF, Filmemacher, Berlin

Die Redaktion behält sich Abdruck und Kürzen von LeserInnenbriefen vor. Die erscheinenden Briefe geben nicht unbedingt die Meinung der taz wieder.