: Freie Fahrt für freie Rotsünder
■ Verkehrsbehörde: Grüner Pfeil hat sich bewährt: Weniger Stau, kaum Konflikte / Jeder zweite Autofahrer mißachtet Stoppzeichen / FUSS e.V.: keine Unfälle, weil Fußgänger auf ihre Vorfahrt verzichten
Der grüne Pfeil an Ampeln wird von den Berliner AutofahrerInnen als Signal für freie Fahrt mißverstanden: Bis zu 50 Prozent der FahrerInnen rauschen auch bei roter Ampel und grünem Pfeil um die Ecke, ohne, wie gefordert, am Fußgängerübergang zu stoppen. Dadurch verringert sich der Stau der Blechlawine vor den Ampeln um teilweise bis zu 70 Prozent. Das ist das Ergebnis einer Studie, die Verkehrsstaatssekretär Ingo Schmitt gestern vorstellte. Das Konfliktpotential mit Fußgängern und Radfahrern sei gering, hieß es, Unfälle seien nicht bekannt. Der Fußgängerschutzverein FUSS dagegen kritisierte diese Bilanz: Unfälle würden nur vermieden, weil Fußgänger „in immer stärkeren Maß auf ihre Rechte verzichten“.
Die Untersuchung des TU-Verkehrsplaners Günter Hoffmann hatte sich auf drei Kreuzungen im Westteil der Stadt konzentriert. Dabei stellte sich heraus, daß zwischen 5 und 65 Prozent der Autofahrer die Erlaubnis zum Rechtsabbiegen bei Rotlicht durch den grünen Pfeil nutzten. Die meisten Fahrer fuhren dabei in der Zeit zwischen zwei Ampelphasen auf die Kreuzung. „Die Staulängen konnten zum Teil erheblich reduziert werden“, heißt es in dem Abschlußbericht. Schmitts Fazit: „Der grüne Pfeil hat sich zum Stauabbau bewährt.“ Am 1. März 1994 war der grüne Pfeil als einziger Überlebender aus der DDR auch in der Bundesrepublik eingeführt worden. In Berlin gilt die Regelung derzeit an 79 Kreuzungen in den östlichen und an 19 Stellen in den westlichen Bezirken. Weitere 30 Grünpfeile sollen folgen.
Die größten Probleme sieht die Studie zwischen den Rechtsabbiegern und den Linksabbiegern der gegenüberliegenden Ampel. Zu den Konflikten zwischen Abbiegern und den vor ihnen querenden Fußgängern und Radfahrern macht die Studie „keine allgemeingültigen Aussagen für alle Knotenpunkte“, attestiert den Automobilisten jedoch „durchgehend schlechte Disziplin“ beim geforderten Stopp vor dem Abbiegen. Dieses Verhalten will Schmitt in Zukunft durch die Polizei stärker überwacht und geahndet sehen: Fehlender Stopp bei grünem Pfeil „ist gleichbedeutend mit der Nichtbeachtung einer roten Ampel“.
Das angeblich geringe Konfliktpotential zwischen Autos und Fußgängern findet Bernd Herzog- Schlagk von FUSS „eine Ignoranz gegenüber den täglichen Erfahrungen des Fuß-Volkes“. Auch bei dem Fußgängerschutzverein seien zwar keine Unfälle gemeldet worden, die nur auf den grünen Pfeil zurückgingen. Das aber sei darauf zurückzuführen, daß die schwächeren Verkehrsteilnehmer sich von den Autos im Zweifel eben lieber die Vorfahrt nehmen ließen als überfahren zu werden: „Es zeigt sich, daß im Verkehr der Stärkere herrscht. Durch den grünen Pfeil werde das Haltegebot aufgeweicht. „Für die Menschen ist das eine enorme Behinderung. Es gibt Kreuzungen in Mitte, wo sich die Fußgänger nicht mehr rübertrauen, weil sie sagen, bei jeder Ampelphase fährt hier irgendwas.“ Bernhard Pötter
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