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Freie Fahrt für bewaffnete Bürger in Uniform

■ Gewaltfreie Aktionsgruppen versuchen vergeblich, aus Anlaß der NATO–Kriegsübung Wintex–Cimex den Regierungsbunker in Dernau zu blockieren, und treffen dabei auf eine zuvorkommende Polizei / In Dernau wird weiterregiert

Aus Dernau Oliver Tolmein

Die Russen kommen wirklich. Zwei Männer in einem Benz–Diesel mit Bonner Kennzeichen, sowjetischem Paß und starkem Akzent wollen durch die Sperre: Sie hätten in einem Waldarbeiterlager auf dem Gelände zu tun. Die Grenzschutzbeamten halten Ratschlag, wollen den Paß nochmal sehen, dann den Passierschein. Aber den haben die beiden zu Hause vergessen. Pech gehabt. Im Krieg sind die Ausweiskontrollen eben härter. Die Russen fahren. Die gewaltfreien Demonstranten bleiben - und debattieren, ob sie weiter die große NATO–Übung Wintex stören, sprich die Polizeifahrzeuge aus dem Inneren durchlassen wollen oder nicht. Mangels eigener Masse fällt das Ergebnis eindeutig aus: freie Fahrt für bewaffnete Bürger. Wenn in der BRD Krieg geprobt wird, geht das auch den Nachrichtenagentur–Journalisten ans Gemüt. „Orangerot geht im Osten die Sonne auf. Panzer des Warschauer Pakts rücken auf NATO– Territorium vor. Seit 5.30 Uhr wird zurückgeschossen. Es ist Krieg. An einem verschwiegenen Ort, wo ewige Nacht herrscht, ist Waldemar Schreckenberger nicht weit auf seinem Posten. Und tief unter der Erde im Regierungsbunker an der Ahr bemüht sich ein Hilfskabinett, Schaden vom deutschen Volk und Vaterland abzuwenden.“ Das Szenario, das der ap–Korrespondent und Kriegsberichterstatter in spe, Hahslach, entwirft, soll die seit 1971 alle zwei Jahre durchgeführte NATO– Stabsrahmenübung Wintex–Cimex beschreiben. Als der taz–Korrespondent vor sieben am Bahnhof der Eifelgemeinde Ahrweiler eintrifft, ist es noch längst nicht zu spät. Knapp vierzig Leute aus Köln, Rheinbach und Bonn stampfen sich die Füße warm, warten auf eine weitere Gewaltfreie Aktionsgruppe (GA) und sprechen mit ihren Bezugsgruppen nochmal die Planung durch. Ziel der Aktion soll es sein, den an diesem Morgen erwarteten Bus mit den Bundestagsabgeordneten, die in dem atomwaffensicheren Regierungsbunker in Dernau das Notparlament mimen sollen, zu blockieren - gewaltfrei natürlich. „Wenn du als Aktionsgruppe das GA im Namen führst, dann verpflichtet das natürlich“, erklärt mir Christian. „Wie soll man hier außerdem sonst was machen? Stacheldraht durchschneiden bringts auch nicht.“ Uwe dagegen - dessen schwarzer Stern an der schwarzen Lederjacke darauf hinweist, daß gewaltfreie Graswurzler gleich militanten Autonomen sich auf anarchistisches Gedankengut berufen - faßt den Gewaltfrei–Begriff weiter: Selbstverständlich müßten Sprengschächte zubetoniert „und auch mal andere Sachen gemacht“ werden. Aber die Gewaltdiskussion spielt an diesem Morgen - die Sonne geht tatsächlich als orange–roter Feuerball im Osten auf - keine Rolle. Es sind ganz andere Probleme aufgetaucht: ein beiger Kadett mit zwei freundlichen rheinland–pfälzischen Polizisten, das personifi zierte Gewaltmonopol also. „Die Polizei“, erklären die beiden Uniformierten als erstes, „hat als Aufgabe, das Grundrecht auf Demonstration zu schützen.“ Deshalb macht sie ein Angebot, das die Gewaltfreien nicht ausschlagen können: Diese benennen einen Verantwortlichen und werden dafür von den Ordnungshütern zum Hauptportal geleitet. Gute Angebote machen ratlos - vor allem, weil spätestens jetzt allen klar ist, daß das Aktionsziel - die Blockade des erwarteten Parlamentarierbusses - in weite Ferne gerückt ist. Die einzige Chance wäre ein Überraschungseffekt gewesen - aber der taz– Szenekalender (in dem der Treffpunkt angekündigt worden war) wird wohl auch von jeder Polizeidienststelle gelesen. Während also der Sprecherrat der Gruppen das „Was tun?“ diskutiert, nutzen die Polizisten die Wartezeit für PR in eigener Sache: „Sie sind hier nicht die ersten, die demonstrieren wollen, und Sie werden nicht die letzten sein. Bisher sind wir mit allen Gruppen gut ausgekommen: Die benennen einen Verantwortlichen, und wir fahren sie dafür hoch.“ Und so geschieht es auch diesmal. Mit einem kleinen Unterschied: Zum einen akzeptieren die Beamten das Sprecherrat–Modell und bestehen nicht auf eine(n) Verantwortliche(n), zum anderen zieht es ein Drittel der Aktionsgruppen vor, statt mit der Polizei zum Hauptportal unabhängig zu einem der elf Nebeneingänge zu ziehen. Daß es auf jeden Fall der Falsche sein wird, macht Christian nichts aus: „Das ist uns in Mutlangen auch schon passiert.“ An einem Schlagbaum ist Endstation. Fünf BGSler auf der einen Seite, ein knappes Dutzend Gewaltfreie auf der anderen, und alle frieren in der gleichen Sache. Die einen dafür - die anderen dagegen. Das Transparent - „Wintex– Cimex - Sie üben unser Sterben“ - wird entrollt, schwarze Luftballons aufgeblasen, Kaffee rausgeholt. Christian und Uwe philosophieren, was für Aktionen durchgeführt werden könnten, wenn man Funkgeräte hätte, Siggi beobachtet durch ihren Feldstecher eine Tannenschonung, die BGS–Beamten knüpfen die an den Schlagbaum geknoteten Luftballons (nicht neunundneunzig, sondern acht) wieder ab: „Verboten“. Die NATO–Stabsrahmenübung Wintex–Cimex dauert vom 4.3–10.3. An vielen Orten sind dezentrale Aktionen vorbereitet. Als größere Aktion planen Friedensgruppen am Sonntag, den 8.3. einen „Tag der offenen Tür“ am Regierungsbunker in Dernau/ Ahrtal.

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