Frauenfußball als Goodwill-Projekt: Zu viel Liebe ist auch keine Lösung

Der Frauenfußball wurde während der EM schier erdrückt vor Zuneigung. Dabei gibt es nun wahrlich schon genug Hype und Hysterie rund um den Fußball.

Kanzler Scholz in der Kabine des deutschen Fußball-Teams der Frauen, Umstehende applaudieren

Kabinen-Kanzler: Olaf Scholz besucht das DFB-Team und verspricht etwas Foto: dpa

So viel Liebe war selten. Der Fußball der Frauen ist schier erdrückt worden vor Zuneigung. Toll, diese Mädels! Super, diese Frauen! Es war ein Lovestorm ohnegleichen, der in den vergangenen dreieinhalb Wochen über die Medien durch das Land geschickt worden ist. Ist es echte Liebe? Nur eine Liebelei, weil gerade kein Männerturnier den Sommer geprägt hat? Oder ist alles ganz anders, und es gibt gar keine echte Zuneigung zum Frauenfußball? Man weiß es nicht.

Klar, die Verbände jubilieren über den Erfolg des Turniers, präsentieren stolz Zuschauerrekorde und TV-Quoten, wie sie noch keine EM der Frauen zuvor gesehen hat. Sie versprechen sich neue Mitglieder für ihre Klubs an der Basis, eine neue Kundinnenschar für die Produkte, die das Fußballbusiness verkauft, Trikots, Sponsorenplätze und Übertragungsrechte. Trainerinnen und Spielerinnen schwärmen vom Geist des Turniers, der die Mädchen inspirieren sollte, auch Fußball zu spielen. Und beinahe allüberall wird in diesen Jubelgesang aus der Fußballwelt eingestimmt.

Für den Fußball wäre es gewiss schön, wenn mehr Mädchen sich den Klubs anschließen und kicken würden. Aber wenn man die Jubelchöre der vergangenen drei Wochen Revue passieren lässt, könnte man glatt glauben, die Welt wäre eine bessere, wenn mehr Frauen Fußball spielen würden. Warum eigentlich?

Naiver Glaube an das Gute

Weil sie so schön fair sind, war immer wieder zu hören, weil sie nicht so viel auf den Rasen rotzen, weil sie sich nicht mit schmerzverzerrtem Gesicht über den Platz wälzen, wenn sie den Windhauch einer vorbeilaufenden Gegenspielerin gespürt haben. Nicht einmal das Finale dieser Europameisterschaft mit all dem Zeitgeschinde und dem eitlen Siegtorjubel von Chloe Kelly hat diesen naiven Glauben an das Gute im Frauenfußball erschüttern können.

Das Turnier jedenfalls wurde als Dauerwerbesendung für den Frauenfußball inszeniert, ganz so, als seien die Mädchen auf Abwegen unterwegs, die es wagen, etwas anderes zu machen, als Bälle mit den Füßen zu treten. Sollen wirklich all die Heranwachsenden, deren Eltern es sich leisten können, ihrem Nachwuchs den Traum vom Ponyhof zu ermöglichen, von den Pferderücken herabsteigen und sich ein Fußballtrikot überstreifen?

Für Eltern, die einen Buben großzuziehen haben, ist es schier unmöglich, ihn vollständig vom Fußball fernzuhalten, ihm den Weihnachtswunsch nach einem Trikot des Lieblingsspielers vom Lieblingsverein zu verwehren. Sollen bald noch mehr Fanartikel unter dem Baum Weihnachten zum heiligen Fest der Fußballverbände und Klubs machen? Das muss doch wirklich nicht sein.

Für Buben ist es schon lange nicht mehr normal, sich nicht für Fußball zu interessieren. Müssen jetzt auch Mädchen auf dem Schulhof zu Opfern werden, weil sie vielleicht lieber ein Buch lesen, Basketball spielen oder turnen, weil sie lieber ein Musikinstrument lernen oder einfach nur rumhängen wollen, statt ihre Freizeit voll und ganz dem Fußball zu unterwerfen?

Der Fußball erdrückt schon jetzt die anderen Sportarten, sogar die olympischen. Eine bessere Sportwelt braucht weniger Fußball – nicht mehr. Und für eine bessere Welt braucht es wahrscheinlich überhaupt keinen Fußball, auch keinen von Frauen gespielten.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.