: Frauen und Gewalt
■ Italienische Ex-„Terroristinnen“ erzählen
Ich hatte als Frau, allein, immer ein besonderes Verhältnis zu Waffen: die Pistole mitzuhaben bedeutete für mich Verteidigung und Schutz... Ich habe auch direkte Erfahrungen mit Verletzungen und Morden - bei zwei davon habe ich selbst gehandelt. Es ist nicht gut beschreibbar, auch weil du vorher viel darüber nachdenkst und nachher viel, während... Es sind Dinge, die dauern wenige Miniuten, meine Reaktion war immer die, jede Emotionalität auszuschalten. Das dominierende Gefühl ist die Angst, nicht nur die Angst, daß es schiefgeht, es ist eine tiefe Angst, als ob du irgendeine Schwelle überschreiten würdest; dann ist alles ausgeschaltet, eine Wahrnehmung von mir selbst, als ob ich nicht einmal atmete... wie eine totale Abwesenheit von Tönen, Geräuschen, Farben... eine Art Leere. Ich habe in vielen Büchern Beschreibungen von 'Mut‘ gelesen - meist die männliche Version; ich habe mich darin nie erkannt, ich persönlich weiß nicht, was 'Mut‘ ist. Der Gebrauch der Waffe ist mehr als alles andere der Eindruck des Blitzes, den die Waffe macht, wenn man schießt; der Rest an Gedanken und Gefühlen kommt nachher.“ (Susanna Ronconi)
Susanna Ronconi war bis 1975 bei den „Brigate Rosse“ und wechselte dann zu „Prima Linea“, wo sie eine Führungsposition einnahm. Im Dezember 1980 wurde sie festgenommen und in den zahlreichen „TerroristInnen„ -Prozessen von 1982 bis 1986 mehrmals wöchentlich verhört. Sie ist die bekannteste unter den Ex-„Terroristinnen“, die im Turiner Gefängnis Le Nuove ihre Haft absitzen und sich bereiterklärt hatten, an einem einjährigen Seminar teilzunehmen, das die Universität Turin (die pädagogische Fakultät) gemeinsam mit Le Nuove durchführte. Die Dokumentation der Texte, Gespräche und Analysen zu dem Thema „Weibliche Identität und politische Gewalt“ wurde nun in der Zeitschrift 'Rivista di storia contemporanea‘, Loescher Verlag Turin, der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
Es ist dies in Italien die erste wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Fragenkreis „Terroristinnen und ihre spezifische Beziehung zur Gewalt“, die nicht dem Zweck von Schuldzuschreibungen dient, sondern sich als historische Analyse der „bleiernen Jahre“ von 1972 bis 1982 versteht und in diesem Rahmen insbesondere den Rollen, aber auch den Motivationen, Vorstellungen der Frauen nachgeht.
In Turin, einem der bedeutendsten Zentren von „Brigate Rosse“ und „Prima Linea“, war die Initiative mit/über Ex -„Terroristinnen“ ein besonders schwieriges Unterfangen nicht zuletzt auch für die Interviewerinnen: denn diese noch so nahe Geschichte ist für die Generation der fünfziger Jahre fast immer mit FreundInnen und MitschülerInnen verbunden, die sich extremen Gruppierungen anschlossen - und daher kommen sehr persönliche Erinnerungen mit ins Spiel.
Als sich Mitte der siebziger Jahre die außerparlamentarische, links der kommunistischen Partei stehende Bewegung „Lotta Continua“ - die individuelle Gewaltaktionen ablehnte - auflöste, verschwammen viele Biograpien. Wer alles zu wem gehörte oder mit wem sympathisierte ist bis heute noch nicht ganz klar.
Die Autorinnen und Autoren der Studie präsentieren sie so, wie sie sich von Anfang an darstellte: wie ein buntes, mosaikhaftes Bild, in dem manche Teile fehlen und in dem viele verschiedene Motive und Reaktionen deutlich werden. Am auffälligsten ist dabei die oftmals erwähnte Doppelrolle der weiblichen Identität: auf gleicher Stufe stehen wollen wie die Männer, aber andererseits „weibliche Züge“ gezielt einsetzen. Frauen waren unauffälliger und wurden laut ihrer eigenen Beschreibung daher gerne als Element der Deckung verwendet, sei es als Wachen, sei es als gutgekleidete Wohnungsmieterinnen für Waffenverstecke. Insgesamt wollten die Frauen gleiches leisten wie die Männer und sich nicht absondern. Bei dem zentralen Punkt der Studie - dem Versuch, den Themenkomplex Gewalt/Waffen in Beziehung zu einer weiblichen Identität zu setzen - erwies sich die doppelte Sehweise vor allem. Die Waffe erlaubte den Frauen, wie Männer zu agieren und hatte gleichzeitig Schutzfunktion. Sieben Jahre lang habe sie ständig eine Pistole in ihrer Handtasche getragen, erzählt eine Ex-„Terroristin“, und sich dabei sicher gefühlt. Sicher wovor? Die Antwort: vor Vergewaltigungen.
Obwohl alle Frauen in ihren autobiographischen Erzählungen die Bedeutung der feministischen Bewegung hervorheben und an feministischen Manifestationen teilgenommen hatten, war ihnen das „abstrakte Gerede“ bald zu wenig und sie wollten „extreme, konsequentere Lösungen“. Hinter einigen „Aktionen“ standen denn auch feministische Ideologien: zum Beispiel hinter den Inbrandsetzungen von Boutiquen von Luisa Spagnoli und Porno-Kinos oder den Attentaten auf Ärzte, die sich gegen die straffreie Abtreibung ausgesprochen hatten.
In den verschiedenen „terroristischen“ Gruppierungen gab es in allen Arten von Initiativen Frauen, eine ausschließliche Terroristinnengruppe allerdings existierte nicht - abgesehen von „Lilith“, dem biblischen Namen der Rebellin-Hexe, einer Abspaltung der „Communisti Rivoluzionari“, der aber kein Delikt nachgewiesen wurde.
Wo es um konkrete Gewaltaktionen geht, werden Lücken in der Erzählung deutlich, Leerstellen, Umschreibungen mit dem hier aussagelosen Wort „cosa“ (Ding). „Ich habe 1973 die ersten Dinge, die ersten Zusammenstöße im bewaffneten Kampf gehabt; es war zum Teil eine ideologische Wahl, zum Teil wollte ich auch mein Leben ändern, die Beziehungen zu meiner Familie“ (G.G.). Die meisten Frauen - wie auch Männer - sind über FreundInnen zur „lotta armata“ gekommen. Nahezu alle hatten als Ausgangsbasis eine politische Aktivität in außerparlamentarischen Gruppen. Aber für die letzte Entscheidung, als U-Boot zu leben, an der „lotta armata“, dem bewaffneten Kampf, teilzunehmen, gibt es in den einzelnen Biographien der zu Wort gekommenen Ex -„Terroristinnen“ viele Gründe, die man nur in einem Gesamtprozeß verstehen und nicht auf einzelne Motive reduzieren kann.
Margit Knapp Gazzola
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