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Frau Fischer, die Lieblingsgrüne Westerwelles

betr.: „Lachen einer Verliererin“, taz vom 28. 12. 99

Dazu möchte ich wenigstens zu einigen Punkten aus der Sicht einer hausärztlich tätigen Allgemeinärztin Stellung nehmen:

Ich sehe und sah keine Kampagne der Pharmaindustrie gegen Frau Fischer. Warum auch? Die vergleichsweise extrem hohen Arzneimittelpreise in der BRD und die Marktpolitik der Pharmaindustrie wurden von ihr nie auch nur in Frage gestellt.

Eigentlich sind wir durchaus eine heterogene Gruppe mit verschiedenen politischen Ansichten. Nicht wenige Ärzte hatten Hoffnungen und Erwartungen in eine neue Gesundheitspolitik unter einer grünen Ministerin. Das Verdienst von Frau Fischer ist es, die anfänglich differente Ärzteschaft geeint zu haben. Statt den Dialog mit den reformwilligen Kräften zu suchen, werden die Vertragsärzte benutzt, die Einsparungen bzw. Kostenbegrenzungen gegen die Patienten durchzusetzen, wollen wir es nicht aus unserer eigenen Tasche bezahlen. Das Arzt-Patienten-Verhältnis ist durch diese Politik nachhaltig gestört. Die Ärzte werden gezwungen, physiotherapeutische Praxen in den Ruin zu treiben.

In den Krankenkassen sieht Frau Fischer offensichtlich immer noch hehre Solidargemeinschaften, obwohl sie seit der Seehoferschen Reform in Konkurrenz zueinander um die jungen und gesunden Patienten buhlen und eher Versicherungsgesellschaften ähneln.

Durch die Grippewelle Anfang 99 stieg die Zahl der behandlungsbedürftigen Patienten und damit die notwendigen Verschreibungen im Vergleich zum Vorjahr. So sind nach den Hochrechnungen der Kassenärztlichen Vereinigung seit 4. 12. 99 die Mittel erschöpft und die weiteren Verschreibungen sollen laut Frau Fischer von uns Ärzten als den Kostenverursachern bezahlt werden. Plant die Bundesregierung etwa, analog dazu die Orkanschäden von den Ingenieuren bezahlen zu lassen?

[...] Wenn Herr Schulte-Sasse als enger Mitarbeiter von Frau Fischer bei einem Vortrag in Heidelberg als einen wichtigen Kernpunkt der Gesundheitsreform und als einen Beitrag zur Zusammenarbeit im Gesundheitswesen die Gründung von Praxisnetzen nennt, so ließe sich viel dazu sagen. Für mich ist es ein Schritt in Richtung Neoliberalismus. Die Pharmaindustrie ist schon mit im Rennen, um die Netze vorzubereiten.

Wenn Frau Fischer die Lieblingsgrüne von Herrn Westerwelle ist und Herr Seehofer ihre vernünftigen Ansichten lobt, dann ist das sehr bezeichnend. Es stimmt, Herr Seehofer hat es nicht geschafft, was eine grüne Ministerin vollbringt, nämlich die Verschlüsselung der Diagnosen durchzusetzen mit allen Konsequenzen für einen gläseren Patienten und Arzt. Traudel Polzer, Heidelberg

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