: Franz von Assisi und der Smog von Santiago
800 Tonnen an Abgasen und Festkörperteilchen bläst die chilenische Hauptstadt täglich in die Luft / Experten warnen vor einer „ökologischen Katastrophe“ ■ Aus Santiago Andres Richards
Seit der gewaltsamen Machtübernahme der Militärs im September 1973 haben sich die Chilenen an das Bild protestierender Priester und Bischöfe gewöhnt. Kirchenvertreter schließen sich Protestaktionen gegen die Regierung an und treten mit den Angehörigen von Verschwundenen in Hungerstreik, um von den Behörden Auskunft über deren Verbleib zu erhalten.
Doch jüngst blieben dann die Chilenen, die zufällig Zeugen des Spektakels wurden, doch mit offenem Mund stehen: Nach einer gemeinsamen Messe im ältesten Kirchengebäude des Landes erschien ein Gruppe von zehn Franziskanermönchen in ihren traditionellen dunkelbrauen Kutten auf der Avenida Alameda O'Higgins, der Prachtstraße von Santiago. Nicht der weiße Strick als Zeichen der Enthaltsamkeit um die Hüften der Nachfolger des Heiligen Franz war es, der die Aufmerksamkeit der Bürger erregte, sondern die weißen Masken in den Gesichtern der Protestierenden. Rasch wuchs die kleine Gruppe zu einer öffentlichen Demonstration gegen die Umweltverschmutzung an, die besonders in den letzten Monaten, im chilenischen Winter, in der Hauptstadt besorgniserregende Ausmaße angenommen hatte. Der Provinzial des Franziskanerordens, Bruder Juan de Dios Hernandez, erinnerte an die Worte von Papst Johannes Paul II. Der Pontifex hatte bei seinem Besuch in Punto Arans, der südlichsten Stadt Chiles, auf die Bedrohungen des ökologischen Gleichgewichtes hingewiesen.
Als „ökologische Katastrophe“ bezeichnete Doktor Hernan Sandoval, Experte in Toxikologie und Geschäftsführer der Vorsorgemedizin des Chilenischen Versicherungsverbandes die Giftgaswolke, die Santiago seit einigen Monaten bedeckt. Neben Hausbrand, Industrie und Abgasen sei vor allem der Staub der meist nicht asphaltierten Straßen, der bei der Kehrung noch zusätzlich aufgewirbelt wird, an der Suppe schuld, die den Blick auf die verschneiten Andenkordillere versperrt.
Zur Staubwolke gesellt sich das Karbonmonoxyd, das den Sauerstofftransporteur im Blut, das Hämoglobin, blockiert. Erkrankungen wie Angina pectoris nehmen zu. Personen mit Atmungserkrankungen sind erhöhtem Risiko ausgesetzt, da sie weniger Sauerstoff aufnehmen können. Zwar verfügt Sandoval über keine stichhaltigen Beweise, doch ist er überzeugt, daß der Smog zu einer häufigen Todesursache in Santiago geworden ist. Vor allem älteren Personen rät er dringend, die Stadt zu verlassen. Die Kinderärzte haben im Jahr 1988 einen extremen Anstieg an Asthma verzeichnet. Im Land der hohen Arbeitslosigkeit ist auf dem informellen Sektor ein neuer Berufszweig entstanden: Straßenverkäufer von Anti-Smog -Masken. Für hundert Pesos - nicht einmal eine Mark - kann man sich, wie die protestierenden Franziskaner, den weißen Schutz erstehen, um die Lungen vor den 800 Tonnen an Gasen und Festkörperteilchen zu schützen, die die Hauptstadt täglich in die Luft bläst. Man erspart sich so den Schadstoff von täglich sieben Zigaretten.
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