: Fragile Einigkeit beim Asylrecht
Bei einer Podiumsdiskussion zur Genfer Flüchtlingskonvention übten sich Hans-Jochen Vogel (SPD) und Peter Müller (CDU) in Harmonie: Gesetze ändern, um Opfer nichtstaatlicher Verfolgung zu schützen. Rita Süssmuth warnt vor zu viel Optimismus
von SEVERIN WEILAND
Der Tag hatte mit einer klaren Botschaft begonnen. Otto Schily ließ vor den Gästen des UNHCR-Symposiums zum Jubiläum der Genfer Flüchtlingskonvention keine Zweifel aufkommen: Eine Ausweitung des deutschen Asylrechts auf Opfer nichtstaatlicher Verfolgung werde es mit ihm als Bundesinnenminister nicht geben. Am Montagabend war es dann an Rita Süssmuth, den Teilnehmern Trost zu spenden: „Was morgen nicht durchkommt, kommt übermorgen durch.“
Zwei Tage lang hatte das Flüchtlingswerk der UNO zu einer Tagung in Berlin geladen, um die vor 50 Jahren geschaffene Flüchtlingskonvention einer Überprüfung zu unterziehen. Der Ort, die Französische Friedrichstadtkirche, sollte den historischen Bogen spannen: Im 17. Jahrhundert waren die Hugenotten aus Frankreich nach Berlin geholt worden. Der UNHCR-Vizevorsitzende in Deutschland, Roland Schilling, erinnerte daran, dass der individuell Verfolgte in der Geschichte die Ausnahme war. Viel häufiger sei, wie im Fall der Hugenotten, die Zugehörigkeit zu einer religiösen oder sonstigen Gruppe Auslöser für Flucht und Vertreibung gewesen.
Dass sich sowohl das Bild des Verfolgten als auch die Ursachen der Bedrohung in 50 Jahren auf manchen Teilen der Welt geändert haben, darüber herrschte auf der Podiumsdiskussion am Montagabend schnell Einigkeit. Am Beispiel der Frauen in Afghanistan schilderte die Parteivorsitzende der Grünen, Claudia Roth, eine neue Form der Entrechtlichung, auf die das deutsche Asylrecht bis heute keine Antwort weiß. Vehement plädierte sie dafür, endlich wegzukommen von der Frage, ob Verfolgung nur durch und unter staatlichen Gebilden möglich ist. Man müsse weg von der Zurechnungs- und „hin zur Schutztheorie“. Nur wie, das war die Frage.
Es sei ja „unstrittig“, dass geschlechtsspezifische und nicht-staatliche Verfolgung schutzbedürftig seien, meinte Peter Müller, Vorsitzender der CDU-Zuwanderungskommission und saarländischer Ministerpräsident. Aber eine Ausdehnung des Artikels 16a im Grundgesetz lehnte er ab. Für eine solche Änderung, die einer Zweidrittel-Zustimmung im Bundestag bedürfte, werde es „keine Mehrheiten geben“, konstatierte Müller und fand dafür auch die Zustimmung von Hans-Jochen Vogel, SPD-Politiker und Mitglied der Süssmuth-Kommission.
Müller und Vogel plädierten dafür, die entsprechenden Passagen im Ausländergesetz zu modifizieren. Die Situation etwa der Afghanen, deren Abschiebung nur ausgesetzt sei und die daher nicht an der Gesellschaft teilhaben könnten, müsse beendet werden. Den „illegalen Aufenthalt in einen legalen umwandeln“, spitzte Müller zu. Dass die SPD-Fraktion in ihrer Forderung nach einer Änderung des Ausländergesetzes schwanken könnte (siehe unten stehender Artikel), machte Vogel kämpferisch: Dann werde er seiner „Position als Ruheständler Gewicht geben“.
Müller und Vogel lagen so dicht beieinander, dass sie ihre Parteibücher hätten austauschen können. Beide sprachen sich für die Beibehaltung des individuellen Asylrechts und gegen Beschwerdeausschüsse aus, beide waren für schnellere Verfahren. Vogel quittierte den Abend mit der Bemerkung, ein solches Maß an Übereinstimmung sei zum 45-jährigen Jubiläum der Genfer Konvention undenkbar gewesen. Man sei in den letzten Wochen, lobte Müller sich selbst und das CDU-Positionspapier zur Zuwanderung, ein gutes Stück vorangekommen. Das sah der Bevollmächtigte der Evangelischen Kirche bei der Bundesrepublik Deutschland, Stefan Reimers, ähnlich. Ein „Umschwung“ zeichne sich ab, der für die Betroffenen genutzt werden müsse. Noch in den 90ern habe eine „innere Abschiebementalität“ vorgeherrscht.
Kommissionschefin Rita Süssmuth warnte allerdings vor zu viel Optimismus. Vieles sei eben „noch sehr fragil“, jetzt gelte es vor allem, dass das Thema Einwanderung und Asyl „nicht in das Wahlkampfgezerre kommt“.
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