: Forschungsfeld Katastrophen
■ Fachbereich Nautik der Hochschule Bremen veranstaltet Workshops
„An einem Unfall arbeiten viele Menschen lange und sorgfältig - aber sie wissen es natürlich nicht.“ Der Mann, der das sagt, weiß mehr darüber: Es ist der Diplom -Psychologe Dr. Helmut Böhm, Professor am Fachbereich Nautik der Hochschule Bremen. Was im ersten Moment so schaurig und absurd klinge, sei für Wissenschaftler aus aller Welt ein hochinteressantes Forschungsfeld, sagt Helmut Böhm. Die Suche nämlich nach all jenen Faktoren, die zusammenspielen und schließlich immer wieder zu oft folgenschweren, ja katastrophalen Unglücksfällen führen.
Workshops, die zum langjährigen Gesundheits-Forschungs -Programm der Europäischen Gemeinschaft gehören, bechäftigten sich mit diesem Thema. Experten, zu denen auch der Diplom-Psychologe gehört, interessiert vor allem die „menschliche Seite“ - nämlich jene Kette von Ereignissen, die durch menschliches Verhalten ausgelöst wird. Ihre Untersuchungen haben zum Ziel, Statistiken zu erstellen und Unfallmodelle zu beschreiben, um die am häufigsten auftretenden Schwachstellen aufzuspüren. Dies soll sowohl in der Seefahrt als auch im Luftverkehr und im Landverkehr geschehen.
In diesen drei Transportsystemen gibt es nach Böhms Worten nämlich Parallelen. Denn Reaktionsweisen und Verhaltensmuster der Menschen lassen sich durchaus vergleichen. Und sie geben Aufschluß darüber, was für eine bessere Unfallverhütung zu tun ist. So hat sich zum Beispiel herausgestellt, daß in allen Systemen Wahrnehmungstäuschungen und Ermüdungserscheinungen auftreten. Auch Motivationsprobleme und die psychische Belastung am Arbeitsplatz führen häufig zu Fehlverhalten.
Der Erfahrungsaustausch von Wissenschaftlern - unter ihnen Mediziner, Psychologen, Statistiker und Kapitäne - brachte eine Reihe interessanter Einzelergebnisse. Dr. Böhm: „Zwei englische Experten haben auf bemerkenswerte und bisher zu wenig beachtete Gründe für Schiffskollisionen aufmerksam gemacht, nämlich auf eingefahrene Verhaltensmuster bei Konvoifahrten oder bei Fahrten durch verkehrsreiche Seestraßen.“ Etwa in dem Tenor: „Das andere Schiff sieht mich, es wird schon ausweichen.“ Für bedeutsam hält der Bremer Psychologe auch die Untersuchungsergebnisse einer Studie über neue Arbeitsmethoden an Bord. Sie habe ergeben, daß mehr Freiheiten der Seeleute, mehr Eigenverantwortung an Bord und weniger Vorschriften zu auffallend weniger Unfällen geführt hätten.
Workshops dieser Art sollen weitergeführt werden. Und vielleicht helfen sie einmal, die Kette von Faktoren zur Katastrophe zu durchschlagen.
Gert Simberger (dpa)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen