Forscher zu Koalition in Niederlanden: „Wie in Amerika“
Ein Parteiloser soll die künftige Rechtskoalition in den Niederlanden anführen. Extremismus-Experte Cas Mudde erklärt, warum das problematisch ist.
taz: Herr Mudde, was dachten Sie bei der Vorstellung Dick Schoofs als künftiger Regierungschef der Niederlande?
Cas Mudde: Es bestätigte etwas, das mir nach drei Jahrzehnten des Forschens über die extreme Rechte klar ist: Wenn diese größer wird, behandelt man sie immer vorsichtiger. Menschen aus der etablierten Politik beginnen, mit ihr zusammenzuarbeiten, wodurch sie normalisiert wird. Das zeigt sich hier perfekt: Geert Wilders wird nun mit Parteien koalieren, die erst sagten, sie würden das nicht tun. Es ist hier wie in Amerika, wo manche über Trump sagen, dass man ihn als Präsident immerhin im Auge behalten könne. In den Niederlanden kamen auch fast alle zentralen Köpfe der Koalitionsgespräche aus etablierten Parteien.
Jahrgang 1967, ist ein niederländischer Politikwissenschaftler, derzeit unter anderem an der University of Georgia. Seine Schwerpunkte: Extremismus und Populismus.
Und Schoof, der nun Premierminister werden soll?
Schoof ist die Personifizierung eines mainstream insider. Er gehört zur Spitze der Verwaltung des Landes, und viele etablierte Politikerinnen und Journalisten sagen nun, das sei ein gutes Zeichen. Aber das ist problematisch.
Warum?
Weil wir, wenn Rechtsaußenpolitik von Rechtsaußenpolitiker*innen kommt, wachsam sind. Wenn diese aber von Personen kommt, die wir im Mainstream, als innerhalb der liberalen Demokratie, ansehen, sind wir das viel weniger. Mit Wilders als Premier würden wir alle gut aufpassen. Das wird nun weniger der Fall sein.
Sahen Sie vor den Parlamentswahlen im November eigentlich Anzeichen für das heutige Szenario?
Nein. Auch nicht für den großen Sieg der PVV, den auch die Umfragen nicht auf dem Schirm hatten. Wohl hatte ich erwartet, dass wir eine sehr rechte Politik bekommen, denn Parteien wie die VVD, BBB und in gewisser Weise selbst der NSC liegen schon eine Zeitlang auf der gleichen Linie wie Wilders, was Immigration, Kriminalität und wokeness betrifft.
Mitentscheidend dafür, dass andere Parteien mit der PVV verhandelten, war ja auch Wilders’ Imagewandel. Ihn, den Medien auf einmal „Milders“ nannten.
Die Medien in den Niederlanden haben sich nach Pim Fortuyn [rechtspopulistischer Politiker, der kurz vor der Wahl 2002 erschossen wurde, d. Red.] dafür entschieden, die äußerste und populistische Rechte als normal zu behandeln. Das bedeutet etwa, ihnen soft topics zu geben, etwa über Wilders und seine Katzen. Der Mainstream hat sich stark nach rechts entwickelt, und damit hat sich auch unsere Vorstellung von dem, was rechtsextrem ist, verschoben. Wenn Wilders dann irgendwann sagt: „Von mir aus müssen der Koran nicht verboten und Moscheen nicht geschlossen werden“, dann erscheint uns das also schon milder. Und der Rest, den er sagt, sagt heute jeder. Das kann also gar nicht radikal sein, wenn alle das sagen.
Es steckt also nichts hinter dieser vermeintlichen Läuterung?
Wilders hat selbst nie gesagt, dass er milder geworden ist. Er hat auch nicht inhaltlich Abstand genommen von den betreffenden Standpunkten. Was er gesagt hat, ist, dass er sie „in den Kühlschrank“ steckt. Das heißt, er braucht sie nicht in dieser Regierung. Er hat selbst wörtlich gesagt, dass er sich nicht verändert hat. Nun, wer weiß nun besser, ob Wilders sich verändert hat, als er selbst? Ich denke, dass es immer schlau ist, zuzuhören, was Rechtsextreme sagen.
Wie sehen Sie die niederländische Situation im europäischen Vergleich?
Eigentlich sind die Niederlande später dran als andere Länder. Wir haben dies schon in Österreich erlebt, in Italien schon seit Jahrzehnten. In einer Mehrheit der EU-Staaten arbeiten vor allem auf der Rechten etablierte Parteien auf nationalem Niveau oder unterhalb dessen, mit Rechtsaußen-Parteien zusammen. Wenn man deren Sichtweisen übernimmt, wird es schwieriger, sie auszuschließen. Der große Test wird nun Flandern sein [die nördliche Region Belgiens. In Belgien finden zeitgleich mit den EU- auch nationale Parlamentswahlen statt, wobei der rechtsextreme Vlaams Belang alle Umfragen anführt, Anm. d. Red.]. Die Strategie, Themen und Sichtweisen zu übernehmen, aber die Parteien draußen halten zu wollen, ist jedenfalls zum Scheitern verurteilt.
Stellt sich dieses Problem auch bei den anstehenden Europawahlen?
Man sieht, dass die EVP, die eigentlich vor Wahlen immer den Ton bestimmt, drei große Themen hat: die ersten beiden davon, Immigration und der European Green Deal, stehen auch auf der Agenda der Rechtsaußen-Parteien oben, und dort hat die EVP auch die Sichtweisen von Rechtsaußen übernommen. Das dritte Thema, Verteidigung, ist dagegen wirklich eines von ihnen. Aber sie haben ihren Wahlkampf begonnen, indem sie sagten: „Einwanderung ist ein Problem. Und während die Rechtsextremen nur rumschreien, schließen wir Deals mit Tunesien und Ägypten und halten die Migrant*innen draußen.“ Die Normalisierung von Rechtsaußen-Parteien sieht man auch daran, dass EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen mit der EKR-Fraktion [der unter anderem Italiens postfaschistische Fratelli d’Italia angehört, d. Red.] zusammenarbeiten will. Es gibt nur in sehr wenigen Ländern noch eine Brandmauer gegen Rechts.
Ist dieses Modell, rechtsextreme Politik durch externes Personal ausführen zu lassen, auch ein Vorbild für Europa?
Nein, denn das ist gar nicht mehr nötig. In den meisten Ländern führen Mainstream-Politiker*innen schon solche Politik aus. Ich denke, dass dies primär an der speziellen Position von Geert Wilders liegt. Er ist international eine so bekannte und polarisierende Figur, dass er als Premier zu diesem Zeitpunkt unmöglich war. Nicht einmal so sehr für die Niederlande selbst, sondern für deren Rolle in der EU. Das Problem war nicht die Politik, sondern diese eine Person. Wenn diese Regierung überlebt, und die Chance halte ich für minimal, dann wird Wilders, wenn die PVV bei der nächsten Wahl wieder stärkste Partei wird, einfach der nächste Premier.
Dann wäre das, was wir nun erleben, eher ein Zwischenschritt?
Ja. Wenn Wilders jetzt zeigt, dass er verlässlich ist und tut, was von ihm erwartet wird, ist er wahrscheinlich in der Lage, beim nächsten Mal Premier zu werden. Und dann geht der Kühlschrank auf.
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