Forscher über Männerbewegung: „Maskulinisten dominieren nur im Netz“
Geschlechterforscher Thomas Gesterkamp fordert eine Männerpolitik gegen „ruinöse männliche Lebensentwürfe“, die private Enttäuschungen erzeugen.
taz: Herr Gesterkamp, in der Politik sind Männer überrepräsentiert. Wozu braucht man da Männerpolitik, wie es Ihr neuer Sammelband fordert?
Thomas Gesterkamp: Männerpolitik ist notwendig, weil es in bestimmten Lebenslagen auch männliche Benachteiligung gibt. Dass Männer zum Beispiel fünfeinhalb Jahre früher sterben als Frauen liegt nicht nur an biologischen Ursachen, sondern auch an ihrem Rollenbild. Es hat was mit einem ruinösen männlichen Lebensentwurf zu tun.
Wie erklärt man jemandem, der das männliche Leistungsprinzip aus vollem Herzen bejaht, dass er Männerpolitik braucht?
In einem solchen Lebensverlauf gibt es auch Enttäuschungen. Zu Hause der ewige Zaungast zu sein, bedeutet, dass Väter auch später ein schlechteres Verhältnis zu den Kindern haben als die Mütter. Natürlich sprechen sie darüber nicht gern. Dass da im Moment eine neue Väterlichkeit mit mehr weiblichen Elementen entdeckt wird, ist sehr bereichernd.
Wie finden Sie die aktuelle Männerpolitik von Bundesfamilienministerin Kristina Schröder?
Davon sieht man bisher wenig. Der erste Gleichstellungsbericht des Ministeriums etwa hat fast alle Männerthemen konsequent ausgeklammert. Da werden dann die Minijobs kritisiert – zu Recht. Aber die Frauen kommen aus den Minijobs nicht heraus, wenn man nicht auch etwas an den ausufernden Arbeitszeiten der Männer ändert.
54, ist promovierter Politikwissenschaftler, Buchautor in Köln und Vater einer Tochter. Zuletzt erschien: „Die neuen Väter zwischen Kind und Karriere“ (2007).
Schröder hat das Referat Männerpolitik eingerichtet.
Ja, aber weil sie ihr Profil mit Männerpolitik schärfen wollte und dagegen die Frauenpolitik vernachlässigt, hat sie sich viel Kritik eingehandelt. Man sollte aber das Referat nicht mit Schröder identifizieren. Die Kampagne für mehr Männer in Kitas etwa halte ich für gut.
Am Donnerstag stellten Männerforscher aus dem deutschen Sprachraum in Zürich erstmals ein Kompendium zum Thema Gleichstellung aus Männersicht vor. Sie grenzen sich damit gegen die sogenannten Männerrechtler ab, die aggressiv gegen jegliche Frauenpolitik vorgehen. In dem Band „Männerpolitik“ wird dagegen beschrieben, wie eine dialogorientierte Männerarbeit aussehen kann, die mit engagierten Frauen arbeiten will und nicht gegen sie. Unser Interviewpartner Thomas Gesterkamp schreibt in dem Band ein Plädoyer für eine eigenständige Männerpolitik jenseits von Feminismus und Antifeminismus.
Die Frauen haben allerdings Angst, dass ihren Projekten damit das Wasser abgegraben wird. Realistisch?
Teilweise. Natürlich werden die Budgets nicht größer. Aber die geschlechterdialogisch orientierten Männerprojekte arbeiten ja mit den Frauen zusammen, das kann man nicht gegeneinander stellen. Ich habe den Eindruck, dass das Bild der Männerbewegung im Moment von den Antifeministen verzerrt wird, die Frauen und deren Projekte aggressiv angreifen. Das ist aber nicht die Mehrheit der Männerbewegung und prägt auch nicht die Männerpolitik.
Warum hört man von den Antifeministen so viel und von den Profeministen so wenig?
Die Maskulinisten dominieren eigentlich nur im Netz. Und sie versuchen, in konservativen Medien Einfluss zu nehmen. Das Bundesforum Männer, das sich von ihnen distanziert hat, müsste sich deutlicher zu Wort melden. Doch die Frauenpolitik bereitet den Antifeministen auch manchmal den Boden: Das Düsseldorfer Frauenministerium hat sich zwar in Emanzipationsministerium umbenannt, was ja gut klingt. Aber als ich die Staatssekretärin fragte, wen sie damit meint, sagte sie „Frauen, Schwule und Lesben“. Ihr kamen die Männer gar nicht in den Sinn. Bestenfalls werden Männer dann „mitgemeint“. Das provoziert natürlich Gegenwehr, wenn Männer Opfererfahrungen machen, die politisch nicht vorkommen.
Im Moment haben alle Mitleid mit den armen Jungs in der Schule. Soll man mit ihnen mehr toben und Diktate über Fußball schreiben?
Man sollte die Wünsche der Kinder natürlich ernst nehmen. Aber ich würde dann versuchen, ihre Rollenmodelle eher zu erweitern als auf Fußball und Prinzessinnen zu verengen. Deshalb finde ich „Gender Mainstreaming“ sinnvoll: Man guckt, welchem Geschlecht man wo mehr Freiheiten verschaffen kann. Das ist doch ein guter Plan für emanzipierte Geschlechterpolitik.
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