Forscher über „Klimanotstand“: Am Point of No Return

Forscher warnen: Das Klima ist sensibler als gedacht. „Kipppunkte“ im Erdsystem sind im Eis und am Amazonas möglicherweise schon erreicht.

Ein Mann in gelber Feuerwejrkleidung und mit bedecktem Gesicht vor brennendem Wald

Ein Feuerwehrmann, der versucht die Brände im brasilianischen Regenwald unter Kontrolle zu bringen Foto: Bruno Kelly/reuters

BERLIN taz | Mit einer drastischen Warnung hat sich eine Gruppe von Klima- und Erdsystemwissenschaftlern zum „Klimanotstand“ zu Wort gemeldet. Nach ihrer Ansicht hat das Erdsystem möglicherweise kritische „Kipppunkte“ wie das Abtauen der Arktis oder das Absterben des Amazonaswaldes bereits fast erreicht. Ihren Befund veröffentlichte die Gruppe kurz vor dem Klimastreiktag am 29.November und dem Beginn der 25.UN-Klimakonferenz am kommenden Montag. Sie fordern „internationale Aktion – keine Worte.“

Die Experten schlagen deutlich Alarm, wenn es um Prozesse geht, bei denen ein bislang stabiles System in einen anderen zustand „kippen“ kann – also wenn aus einem Regenwald etwa eine Savanne wird. „Die Beweislage verdichtet sich, dass diese Ereignisse wahrscheinlicher sein könnten als gedacht“, schreiben die sieben Experten in einem Kommentar in der Fachzeitschrift „Nature“.

Auch werde klarer, dass diese Prozesse rund um einen drastischen Wandel „schwere Folgen haben und miteinander über verschiedene biophysikalische Systeme verbunden sind und die Welt potenziell auf langfristige irreversible Veränderungen festlegen.“

Die Forschergruppe, unter ihnen der Chef des Potsdam Instituts PIK Johan Rockström, sein Vorgänger Hans Joachim Schellnhuber, Timothy Lenton von der Universität Lexeter und Katherine Richardson, Ozeanografin an der Uni Kopenhagen, bezieht sich auf bislang unveröffentliche Ergebnisse von Klimamodellen. Darin sehen sie, dass „Kipppunkte“ in den Eissystemen von Arktis, Antarktis und den nördlichen Polargegenden „gefährlich nahe sind“ – und „zukünftige Generationen mit einem Meeresspiegelanstieg von 10 Metern über tausende von Jahren zu leben haben.“

Schmilzt das Eis, tauen die Böden

Vor allem warnen die Experten nach neuen Untersuchungen davor, dass verschiedene dieser Prozesse sich gegenseitig verstärken. „Werden Kipppunkte in einem System überschritten, kann das das Risiko erhöhen, dass sie auch in anderen Systemen überschritten werden.“ Ihre Beispiele: Schmilzt das Eis in der Arktis, erwärmt das die Region und führt zu verstärktem Tauwetter und Ausgasen der Treibhausgase CO2 und Methan aus den Böden.

Sie streiken: Die Temperaturen steigen. Der Meeresspiegel auch. „Fridays for Future“ ruft am 29.11. zum Klimastreik. Samstag protestiert „Ende Gelände“ gegen den Braunkohleabbau. Und am 2.12. beginnt die UN-Klimakonferenz.

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Auch könne Schmelzwasser aus Grönland den Golfstrom abschwächen, was wiederum die Regenfälle in Westafrika und im Amazonasgebiet beeinflussen könne. Eine weitere Erwärmung des südlichen Ozeans wiederum führe zu schnellerem Eisverlust in der Antarktis.

Insgesamt zeigen nach Meinung der Forscher neue Ergebnisse der Klimamodelle für den nächsten IPCC-Bericht für 2021, dass das Klima deutlich sensibler auf Störungen reagieren könne als bislang gedacht. Wenn solche „Kaskaden“ von Kipppunkten möglich seien, könne ein „globaler Kipppunkt“, an dem sich das gesamte Weltklima in ein neues Gleichgewicht, eine „Heißzeit“ bewegt, nicht ausgeschlossen werden, heißt es.

„Das ist eine existenzielle Bedrohung für unsere Zivilisation“, schreiben die Autoren, „das legt nahe, dass wir uns in einem planetaren Notstand befinden.“ Die Stabilität des Planeten sei in Gefahr. Möglicherweise „haben wir bereits die Kontrolle darüber verloren, ob Kipppunkte passieren“, heißt es. Dann gehe es darum, durch eine drastische Reduktion der Emissionen den Zeitrahmen so zu strecken, dass die Folgen etwa beim Meeresspiegel beherrschbar blieben.

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