Formen des Klimaprotests: Ganz in Weiß
Was wirkt wie eine Ode an den Malermeister, ist weit mehr: Der geschlechtslose Wanderanzug in Weiß ist unter Blockier*innen en vogue.
Es war der Laufsteg ihres klaren Understatements, eine Kulisse der Natürlichkeit, viel fokussierter konnotiert, viel schüchterner kontextualisiert als die schrille Zeitgeistigkeit eines Karl Lagerfeld und seiner Jünger, wenn sie in Paris Prêt-à-porter präsentieren – mit ihren schrillen Haschmichs im Hintergrund und einsamen, mageren Kätzchen im Vordergrund.
Links und rechts dieses sehr deutschen Modeschaulaufs: Herbstbraunes Wildgras (siehe Foto) in der Mitte die stolze Linie eines Trampelpfads im Tagebau Vereinigtes Schleenhain, Braunkohlerevier Mitteldeutschland. Hier wird präsentiert, was im Trend liegt: Ein leichter Stoff, vom Kopf bis zu den Füßen multifunktional, gebrauchsfertig, mit großer Beinfreiheit und einer Schutzkapuze. 100 Prozent Propylen. Das ist das Blockiererkostüm.
Die Ganzkörperkleider, Marke Malerbedarf, wirken uneitel, fast wie eine Ode an den Streicher. Doch inzwischen sorgt der geschlechtslose Wanderanzug, dessen betonte Weiße zu einer gewissen Form friedfertiger Aufmüpfigkeit inspirieren soll, selbst in Paris für Aufsehen, meist in Kombination mit einer dezenten Atemmaske, einer sich subversiv gebenden Politisierung sowie einer Schuhmode, die sich ganz der Funktionalität verschrieben hat.
Gleich in mehreren Schauen wurde der Modegruß in den vergangenen Tagen in Deutschland präsentiert: Im Schleenhain, nahe Leipzig, sowieso. Aber auch am Kraftwerk Niederaußem, im rheinischen Braunkohlerevier, ketteten sich rund 20 Kenner gar zusätzlich mit Ketten aneinander. Am Montag besetzten weitere von ihnen einen Abraumbagger in Jänschwalde und eine Kohletransportbrücke in Welzow-Süd, beides im Kohlerevier Lausitz. Sie alle vereinte ihr zeitlos weißer Chic, koloriert mit markigen Botschaften wie: „Digger, hier ist Ende Gelände!“ und „Hier wird das Klima verhandelt!“
Die Konturlosigkeit des Anzugs
Sicher, es soll mit dieser erschwinglichen Einstiegsmode auch auf eine gebrauchsfertige Alternative zu den modisch eher lahmen Signalen aus Paris verwiesen werden, wo derzeit wieder in besonderer Dichte der zeitlose Herrenanzug dominiert.
Polypropylen, 1954 erstmals von Karl Rehn synthetisiert, tauge dagegen hervorragend, um etwa in grundsätzlich abzuschaffenden Braunkohelrevieren übergroße Körperverschmutzungen zu vermeiden, sagen die Fürsprecher; der Anzug garantiere zudem ein gewisses Maß an Anonymität in einem Kollektiv, das bedacht sei, das Gemeinsame stets zu betonen. Drittens wirke die weißliche Farbgebung, im Gegensatz zum einst beliebten, aber doch schroff wirkenden Kleiderschwarz der achtziger Jahre weniger angsteinflößend.
Der Erde droht der Hitzekollaps. Deshalb wollen die Staatschefs der Welt Anfang Dezember in Paris einen globalen Klimaschutz-Vertrag vereinbaren. Die taz berichtete vom 28. November bis zum 14. Dezember 2015 täglich auf vier Seiten in der Zeitung und hier auf taz.de.
Und viertens, so sagt einer, der den Anzug trägt, sei es ein besonderer Reiz, den vermeintlich mit Bauarbeiterklischees konnotierten, im Volksmund verachteten Maleranzug mit einer neuen Form der Geschlechtslosigkeit zu füllen: „Die Konturlosigkeit dieses Anzugs“, sagt er, „hat etwas Befreiendes.“
Und so wird deutlich, warum dem Blockiererkostüm auch unter den Frühjahrstrends 2016 beste Chancen eingeräumt werden. Dann wollen zu Pfingsten Tausende Menschen ins Lausitzer Braunkohlerevier strömen. Es wird ein Schaulaufen werden, auch mit weiteren Uniformierten. Aber die Trendsetter kommen, sagen sie, ganz in Weiß.
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