Das Portrait: Fordert Aufklärung
■ Ding Zilin
Ding Zilin kämpft gegen das Vergessen. Ihr Sohn war gerade 17 Jahre alt, als er „bei den Juni-Ereignissen“ – so die offizielle Sprachregelung für die blutige Niederschlagung der Demokratiebewegung von 1989 – ums Leben kam. Als Ding jedoch von den Pekinger Behörden erfahren wollte, wie ihr Sohn gestorben war, stieß sie auf eine Mauer des Schweigens.
Da begann die Assistenzprofessorin für Philosophie an der Pekinger Volksuniversität, in akribischer Kleinarbeit über das Schicksal der Opfer vom Tiananmen, der Verwundeten und ihrer Familien zu forschen.
Im Juni 1994 veröffentlichte die Hongkonger Zeitschrift Jiushi Niandai die erste Liste mit den Namen von 52 Opfern und Berichten über die Umstände ihres Todes und die Situation der Hinterbliebenen. Inzwischen erschien eine weitere Liste mit 44 Namen. Sie hat jedoch nicht nur die Geschehnisse dokumentiert, sondern die betroffenen Familien besucht und versucht, gegebenenfalls mit Spendengeldern finanziell zu helfen. „Sie haben keine Möglichkeit, über ihr Leid und ihre Not zu berichten. Sie werden von der Gesellschaft vergessen und im Stich gelassen“, sagt Ding.
Im Frühjahr 1994 unterzeichnete sie eine Bürgerrechtspetition an die chinesische Regierung. In diesem Jahr initiierte sie den vorwiegend von Frauen unterstützten Aufruf der „Familienangehörigen der Opfer des 4. Juni 1989“, der die Einsetzung einer parlamentarischen Untersuchungskommission zur Aufklärung des Massakers fordert.
Unterstützt wird sie dabei von ihrem Mann, von einer Reihe von FreundInnen, aber auch von Dissidenten wie dem seit über einem Jahr „verschwundenen“ Wei Jingsheng und ausländischen Menschenrechtsorganisationen.
Die chinesische Bürgerrechtlerin Ding Zilin Foto: Archiv
Immer wieder ist sie dabei Repressionen ausgesetzt. 1991, nach dem Besuch eines amerikanischen Fernsehteams, wurde sie unter dem Vorwand, ihre Mitgliedsbeiträge nicht bezahlt zu haben, aus der Kommunistischen Partei ausgeschlossen und verlor an der Universität die Berechtigung, MagisterstudentInnen zu betreuen. 1993 erhielt sie keine Ausreiseerlaubnis zur Teilnahme an einer Menschenrechtskonferenz der UNO. Anläßlich der Weltfrauenkonferenz im September wird die internationale Aufmerksamkeit auf Peking gerichtet sein. Dann ist damit zur rechnen, daß Ding – ebenso wie andere RegimekritikerInnen – wieder scharf überwacht wird. Renate Krieg
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