Flugangst positiv genutzt: Mein Sommerglück
Wenn ich fliegen muss, schleppe ich mich zum Schalter wie zu meiner eigenen Hinrichtung. Mit meiner neuen Strategie wird daraus eine Quelle des Glücks.
S eit einer Woche kann ich nicht mehr schlafen! Ich fliege nämlich in zwei Tagen in die Türkei. Weshalb die Leute ständig ‚ich fliege‘ sagen, obwohl sie doch erwiesenermaßen stundenlang nur hilflos und verängstigt in 10.000 Meter Höhe in einem Metallrohr rumsitzen, weiß ich auch nicht.
Andererseits, wenn ich tatsächlich selber fliegen dürfte, dann hätte ich wahrscheinlich nicht so eine höllische Angst davor. Sich in die Hände von altersschwachen Maschinen, besoffenen Piloten, unzufriedenen Fluglotsen oder durchgeknallten Terroristen zu begeben ist für mich leider nicht immer so einfach, wie es von außen aussieht.
Diese eine Woche vor dem Flug ist für mich eine richtige Qual! Die Zeit vergeht fast genauso schleppend wie der Flug selbst. Weshalb man ‚die Zeit vergeht wie im Flug‘ sagt, ist mir ein ganz großes Rätsel!
Dann kommt unerbittlich die Zeit des nackten Horrors, und mein Arbeitskollege, der Staplerfahrer Hans, fährt mich zum Flughafen.
Lieber im Karnickelweg bleiben
Ich schleppe mich und meinen Koffer zum Schalter wie zu meiner eigenen Hinrichtung. Die ankommenden Passagiere beneide ich zutiefst, weil sie schon diese ganze Folter des Fluges hinter sich gebracht haben. Ich würde liebend gern mit diesen Leuten tauschen und ohne mit der Wimper zu zucken denen meinen Urlaub schenken! Dann wäre ich der glücklichste Mensch auf der Welt!
Warum eigentlich nicht?! Ich bleibe hier in Deutschland! Besser gesagt in Bremen. Noch genauer gesagt im Karnickelweg 7b!
„Hans, lass uns wieder nach Hause fahren, ich fliege nicht“, freue ich mich erleichtert.
„Osman, das kannst du doch nicht machen! Das Geld fürs Ticket geht doch verloren! Das wäre dumm und dämlich.“
„Hans, ich habe gar kein Ticket gekauft, mein Freund.“
„Hä? Was? Warum sind wir dann hier im Flughafen und stehen in der langen Schlange Istanbul, verdammt?!“
Erleichtert und froh
Nun erkläre ich dem völlig verwirrten Hans, dass ich öfters dieses Spielchen mit mir spiele, um mich wohlzufühlen. Dass ich dann immer so tue, als ob ich in den Urlaub fliegen müsste, fahre dann mit zwei Koffern und zwei schlotternden Knien zum Flughafen, schwitze Blut und Wasser – und dann bin ich plötzlich der glücklichste Mensch auf Erden, weil ich ja in Wirklichkeit gar nicht in so ein Monster einsteigen muss! Dass ich gar nicht fliegen muss! Kannst du dir vorstellen, wie erleichtert und froh ich dann bin?!
Danach fahre ich fröhlich pfeifend und glücklich nach Hause und laufe tagelang grinsend durch die Gegend!
„Hans, gibt es denn was Schöneres auf der Welt, als nicht zu fliegen? Ich könnte jeden hier umarmen, selbst die besoffenen Piloten und die durchgeknallten Terroristen!“
Ich weiß nicht warum, aber ich habe das ungute Gefühl, als würde Hans mein überschwängliches Glück überhaupt nicht teilen.
Kreidebleich und wortlos steigt er in sein Auto und fährt einfach weg, ohne mit der Wimper zu zucken! Nur sein 22 Jahre alte VW-Passat zuckt noch zweimal …
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen