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Flüchtlinge in Zaire lassen Helfer ratlos

Während Hilfswerke noch auf der Suche nach den Flüchtlingen sind, scheint die multinationale Truppe für Ostzaire nach Differenzen in Frankreich über den Einsatz in Frage gestellt  ■ Aus Nairobi Andrea König

Rauch aus einem seit einer Woche wieder aktiven Vulkan entlang der zairisch-ugandischen Grenze, Regenwolken und Fledermäuse, die in den Norden ziehen, schaffen Probleme: Die Aufklärungsflieger, die über den Verbleib der ruandischen Flüchtlinge in Ostzaire Auskunft geben sollen, kehren häufig ohne Ergebnis zur Basis nach Uganda zurück. Auch das UN- Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR) in Nairobi ist ratlos. „Sie könnten überall sein, wir wissen beinahe nichts“, erklärt Peter Kessler vom UNHCR. „Wir erhalten unsere Informationen entweder von Flüchtlingen, die den Weg nach Ruanda schaffen, oder von Missionaren vor Ort.“ Und diese Informationen sind nicht immer zuverlässig: „Häufig erzählen Ankömmlinge, daß ihnen Tausende folgten, aber wir wissen nicht, was Tausende bedeutet“.

Diese unklare Lage und die Tatsache, daß inzwischen über eine halbe Million Flüchtlinge nach Ruanda zurückgekehrt sind, haben inzwischen auch in Frankreich zu Meinungsunterschieden zwischen Kooperationsministerium und Außenamt über die Truppe geführt. Dagegen hatten die Teilnehmer des franko-afrikanischen Gipfels in Burkina Faso, der letzte Woche zu Ende ging, vehement für einen Einsatz plädiert. Gerade weil noch Hunderttausende herumirrten, müßte die Truppe eingesetzt werden, sagte der Präsident Burkina Fasos, Blaise Campaoré. Erst Ende der Woche hatten auch die „Ärzte ohne Grenzen“ berichtet, daß sich „zwischen 100.000 und 400.000 Menschen“ auf die von Goma über 400 Kilometer nordwestlich gelegene Stadt Kisangani zu bewegten. Aber auch ihre Angaben blieben vage.

Allein Ruanda hatte sich auf der Konferenz gegen die Eingreiftruppe gesträubt. Die Regierung geht davon aus, daß die meisten Flüchtlinge im November nach Ruanda zurückgekehrt sind. Sie wirft dem Hochkommissar für Flüchtlinge vor, mit völlig überzogenen Zahlen zu jonglieren. Dem UNHCR sei es Anfang September nicht einmal gelungen, einen Zensus in den Lagern durchzuführen – er scheiterte am Widerstand der Flüchtlinge, die eine Zwangsrückführung nach Ruanda befürchteten. Auch bei anderen Hilfsorganisationen ist man sich einig, daß die Flüchtlingszahlen in den zairischen Camps überhöht waren: Rund 20 Prozent müßten realistischerweise abgezogen werden. Klarheit über die in Zaire verbliebenen Flüchtlinge gibt es kaum, da sie sich offenbar in immer kleineren Gruppen in einem immer größeren Gebiet aufhalten. Unter ihnen sind auch solche, die nicht nach Ruanda zurückkehren wollen, da sie am Völkermord von 1994 beteiligt waren. Es wird vermutet, daß die Hutu-Extremisten ihre Familien bei sich behalten. Ihre Zahl wird auf über hunderttausend geschätzt.

Das UNHCR seinerseits hält noch immer daran fest, daß über 500.000 ruandische Flüchtlinge durch den Osten Zaires irren. Von ihnen überquerten täglich zwischen 600 und 700 den Grenzübergang in Cyangugu, der Nachbarstadt von Bukavu in Südkivu. Die meisten von ihnen, sagt Kessler, seien nicht unterernährt: „Es ist erstaunlich, sie tragen noch immer Nahrung bei sich. Bisher waren wenige in besorgniserregendem Zustand.“ Stärker betroffen seien die Zairer, die vor den Kämpfen fliehen mußten: „Sie hatten nicht wie die Ruander in Lagern gelebt, die mit Lebensmitteln und medizinischer Hilfe bestens versorgt waren.“

Hilfsorganisationen klagen, ihre Bewegungsfreiheit werde von den Rebellen massiv eingeschränkt. Von der Provinzhauptstadt Bukavu aus kann sich das UNHCR in einem Radius von rund 30 Kilometern bewegen, in Goma sind es fünfzig. So erklärt auch Michelle Quintaglie vom Welternährungsprogramm, daß die Lokalisierung der Flüchtlinge wegen des unregelmäßigen Zugangs der Hilfswerke zur Region unmöglich sei.

Auch ungeklärt bleibt, wo sich die Soldaten der ehemaligen ruandischen Armee und die Hutu-Milizen befinden. Rückkehrende Flüchtlinge berichten, diese hätten sich von den Flüchtlingen getrennt und seien westwärts zum zairischen Kisangani unterwegs. Bei den Hilfsorganisationen glaubt man, daß die Verbände der bewaffneten Hutu sich zusammengeschlossen hätten.

Der frühere ruandische Innenminister Seth Sendashonga, der heute im Exil in Kenia lebt, sagt, die meisten Kommandanten der ehemaligen Armee seien von den Rebellen getötet oder nach Ruanda in Gefangenschaft abgeschoben worden. „Die ehemalige Hutu-Armee ist völlig zerstört, ihre überlebenden Kämpfer ziehen führungslos durch den zairischen Dschungel.“ Die militantesten Führer der Armee und der selbsternannten Interims-Regierung, etwa der Chef der ehemaligen ruandischen Armee, Augustin Bizimungu, hatten sich nach 1994 in Bukavu niedergelassen. „Sie wurden vom Angriff der Rebellen völlig überrascht“, sagt Sendashonga. Auch führende Politiker seien während des Angriffs auf Bukavu getötet worden, unter ihnen der Informationsminister und der Landwirtschaftsminister.

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