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Archiv-Artikel

Fluchttheater im Abgeordnetenhaus

Die Justizsenatorin räumt nach der Flucht eines Ex-Drogenhändlers Fehler der Angestellten des Gefängnisses in Tegel ein. Das sei jedoch ein Einzelfall

Nach der Flucht des früheren Drogenhändlers Ismail F. hat die Justizsenatorin Karin Schubert (SPD) gestern in einer Sitzung des Rechtsausschusses schwere Fehler eingeräumt. „Vieles wurde falsch gemacht“, sagte Schubert, „es handelt sich hierbei aber um einen Einzelfall.“

Bis zum Januar 2009 hätte der 33-jährige Ismail F. noch in der JVA Tegel einsitzen müssen – insgesamt 12 Jahre wegen Drogenhandel und Waffenbesitz. Vor einer Woche begleitete ihn eine Sozialarbeiterin auf einem Ausgang. Im Café Kranzler am Kurfürstendamm ging Ismail F. auf die Toilette und floh. Seither fehlt jede Spur von dem Mann.

Mit nur einer Begleiterin hätte der Ausgang für den Ex-Dealer gar nicht genehmigt werden dürfen, sagte Klaus Lange-Lehngut, Leiter der JVA Tegel. Ein psychologisches Gutachten bescheinigte dem Häftling nämlich Fluchtgefahr. Zudem hätte der Gefängnischef selbst einen solch „komplexen und risikoreichen“ Fall genehmigen müssen, doch die Teilanstalt V ließ Ismail F. ohne diese Genehmigung auf die Straße. Auch die Sozialarbeiterin verstieß gegen die Vorschriften, als sie Ismail F. allein aufs Klo ließ.

Die Opposition kritisierte die Justizsenatorin scharf. Hauptkritik von Union und FDP: Schubert habe offenbar nichts aus der Flucht eines Sexualstraftäters im Jahre 2003 gelernt. Auch dieser Mann wurde nur von einer Frau begleitet und kam vom Klo nicht wieder. Die „Aneinanderreihung von Schlampereien“, um die es jetzt gehe, könne Schubert daher nicht einfach auf Mitarbeiter der unteren Ebene abschieben, sagte Christoph Meyer (FDP). Angesichts dieses Falles könne man nicht sicher sein, ob häufigere Fluchtfälle nicht einfach nur durch Zufall verhindert worden seien.

Dagegen sprechen allerdings die Fakten: Ließ Tegel 1992 noch knapp 64.000 Vollzugslockerungen zu, waren es 2004 schon 110.000. Und während Anfang der 90er noch 364 Häftlinge draußen das Weite suchten, waren es im vergangenen Jahr nur noch 159. Darum sieht Schubert auch keinen Grund für einen Rücktritt. Schließlich hätten JVA-Mitarbeiter ihre Pflichten verletzt und nicht sie.

Personelle Konsequenzen gab es hingegen in der JVA. Der Anstaltschef beurlaubte die Leiterin der Teilanstalt V wegen ihrer „unprofessionellen und ausgesprochen schlechten Leistung“. Sie soll später versetzt werden. Zudem kündigte Lange-Lehngut arbeitsrechtliche Schritte an. Gegen die Sozialarbeiterin, die den Ex-Dealer begleitet hatte, wurde ein Disziplinarverfahren eröffnet.

Die Häftlinge befürchten offenbar keine harten Verschärfungen. „Ich schätze, dass erst einmal nur noch Ausgänge mit zwei Bewachern genehmigt werden“, sagte Michael Mill von der Tegeler Gefangenenzeitschrift Lichtblick. „Aber draußen hat man sich zum Glück nicht auf die Lockerungen an sich eingeschossen.“ Bisher nicht. Michael Braun (CDU) sagte gestern, der Fall werfe ein schlechtes Licht auf das Prinzip der Resozialisierung insgesamt. DANIEL SCHULZ