Flucht eines Fußballers aus der Ukraine: Andere Grenzen
Der ghanaische Fußballprofi Najeeb Yakubu ist aus der Ukraine geflüchtet. Ein schreckliches Erlebnis – zumal er auch noch Rassismus erfährt.
Seither spielt er für den ukrainischen Erstligisten Vorskla Poltava. Es sei immer sein Traum gewesen, für eine europäische Mannschaft zu spielen. Das liegt nun in der Vergangenheit. „Kaum zu glauben, wie sich das Leben innerhalb einer Woche verändern kann“, sagt Yakubu und lacht. Es ist ein erschöpftes Lachen.
Mitten in der Nacht am Samstag, 26. Februar, hörte der ehemalige Nationalspieler der ghanaischen U20 laute Explosionen in der Nähe seiner Wohnung in Poltava. Die 300.000-Einwohner-Stadt liegt knapp eine Stunde Autofahrt von der Stadt Charkiw im Osten der Ukraine. Charkiw stand zeitgleich mit der ukrainischen Hauptstadt Kiew unter Beschuss.
„Als ich die Explosionen hörte, wurde mir schlagartig bewusst, wie ernst die Situation war“, erzählt Najeeb Yakubu auf Englisch. Tagsüber soll es Gerüchte eines Angriffs gegeben haben. „Ich wollte am Freitag aufbrechen, aber Najeeb dachte, die Gerüchte im Internet seien übertrieben. Also sind wir geblieben“, erklärt seine Freundin Gracelove Quarcia. Sie ist vor vier Jahren mit Yakubu in die Ukraine gezogen.
Trennung an der ungarischen Grenze
Die 25-Jährige ist im fünften Monat schwanger und hat in der Ukraine Medizin studiert. Ohne zu zögern packten sie in dieser Nacht ihre Taschen und machten sich auf den Weg. Von Poltava aus nahm das Paar einen Zug. Über Lwiw im Westen der Ukraine fuhren sie an die ungarische Grenze nach Uschgorod. Anders als erwartet sollte das Paar Ungarn aber nicht gemeinsam erreichen.
Rund 2.000 Kilometer weiter saß am besagten Abend der Lokalpolitiker Eric Figula (Die Partei) vor dem Fernseher und verfolgte die Situation in der Ukraine im Fernsehen. Der Jurastudent aus Bielefeld kennt Yakubu aus seiner Jugendzeit. Sie fanden über Facebook zueinander und haben sich hin und wieder über Fußball ausgetauscht. „Als ich sah, dass eine Stadt in der Nähe von Poltava angegriffen wurde, geriet ich in Panik“, erzählt der 28-Jährige. Er habe Najeeb Yakubu direkt kontaktiert. Für ihn stand fest, dass Yakubu und seine Freundin in Deutschland am sichersten wären. „Wir haben hier eine lange Geschichte mit Krieg und wir lernen schon in der Schule, wie wichtig es ist, in solchen Momenten zu helfen und solidarisch zu sein.“
Von Uschgorod aus versuchte das junge Paar nach Ungarn zu gelangen. „Wir wurden von den bewaffneten Grenzschützern und Beamten getrennt“, erzählt Gracelove Quarcia sichtlich angefasst. „Die weißen Ukrainer hatten Priorität, erst kamen sie, dann die Schwarzen Kinder und Frauen und anschließend die Schwarzen Männer.“ Wegen ihrer Schwangerschaft wurde die Medizinstudentin bevorzugt und in einer Gruppe mit anderen Frauen in einem Auto nach Ungarn gefahren. Najeeb Yakubu konnte sich wie seine Freundin zu einer Fahrgemeinschaft dazugesellen. „Wir waren vier Schwarze Männer“, erzählt er. Der Fahrer habe ihn und die anderen Schwarzen Männer kurz vor der ungarischen Grenze grundlos rausgeschmissen.
„Dass ich für eine Mannschaft in der Ukraine Fußball gespielt habe, hat keine Rolle gespielt, sie sahen auf der Flucht nur meine Hautfarbe, dementsprechend wurde ich behandelt.“ Das habe ihn verletzt, zumal er sich in der Vergangenheit um eine ukrainische Einbürgerung bemüht habe, um für die Nationalmannschaft der Ukraine zu spielen. „Ich habe mich eigentlich immer wohl und willkommen in der Ukraine gefühlt. Bis zu meiner Flucht.“ Mit den drei anderen Männern lief Yakubu in der Nacht von Samstag auf Sonntag über eine Stunde in der ukrainischen Kälte nach Ungarn. „Ich sah Menschen um mich, die vor Erschöpfung zusammenbrachen.“
„Das macht mir Angst“
In der ungarischen Grenzstadt Záhony traf er seine Freundin wieder. Über Prag und Berlin gelangten sie nach Bielefeld. Najeeb Yakubu möchte sich nun so schnell wie möglich in Deutschland zurechtfinden. Der Verteidiger hat laut dem Fußballportal transfermarkt.de einen Marktwert von 900.000 Euro. „Das Wichtigste für mich ist es, die deutsche Sprache zu lernen und schnell mit dem Training in einem Verein zu beginnen“, erklärt er. Gracelove Quarcia möchte ihr Medizinstudium fortsetzen.
Yakubu berichtet, einige seiner nichtukrainischen Teamkollegen seien bereits bei neuen Teams unter Vertrag. „Um meine ukrainischen Teamkollegen mache ich mir am meisten Sorgen“, erzählt der 22-Jährige. Sie dürften das Land nicht verlassen. Sie müssten kämpfen und ihr Leben riskieren. „Das macht mir Angst“, sagt Yakubu. Über die Jahre seien tiefe Freundschaften entstanden. Ab und zu erhält Yakubu von einigen Teamkollegen Nachrichten auf sein Handy, als kleines Lebenszeichen.
Momentan sucht das Paar nach psychologischer Betreuung. Angesichts der weiterhin großen Zahl an Flüchtlingen aus der Ukraine und ihrer eigenen Erfahrungen weisen sie auf ein vielfach unbeachtetes Problem hin: „Wir wünschen uns, dass auch anderen Schwarzen Menschen geholfen wird, die in der Ukraine festsitzen. Wir mussten viele Schwarze Studenten zurücklassen.“ Sie seien genauso auf die Hilfe Europas und der Welt angewiesen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Misogynes Brauchtum Klaasohm
Frauenschlagen auf Borkum soll enden
SPD im Vorwahlkampf
Warten auf Herrn Merz