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Fingerspitze in den Augen

Zwei Borussias – zwei Welten. Eine Männerwelt – eine Buhlschaft. Elf mäßige Mönchengladbacher unterliegen zehn tagesstark fightenden Dortmundern 1:2, und der Schiedsrichter sorgt für Spaß

vom Bökelberg BERND MÜLLENDER

Vieles war nachher schnell klargestellt. Etwa die Sache mit Singular und Plural. „Es gibt nur eine Borussia“, war als Hit des Tages erkoren und von den Gladbach-Freunden glühkehlig intoniert worden. Eine Anmaßung – und also versuchte sich BVB-Trainer Matthias Sammer eingangs seiner Spielanalyse bockig an einem kleinen Scherz: „Äh, wir heißen übrigens Borussia Dortmund. Es gibt mehrere Borussias in Deutschland.“ Dankbar nehmen es auch Borussia Fulda, Borussia Freialdenhoven, Borussia Neunkirchen und viele andere zur Kenntnis.

Auch war rasch geklärt, welche der vielen Borussias auf dem Platz denn nun die bessere war. Coachkollege Hans Meyer (Heimborussia) bekannte, er könne sich „nicht ärgern über die Niederlage“, denn die Seinen hätten „so viele Defizite gegenüber Dortmund“ gehabt: „Wir sind vom Kader her ganz objektiv die klar schwächere Mannschaft.“ Meyer schwärmte von des Gegners zweifacher Doppelflügelflitzerzange aus Brasilien: „Vom Feinsten“, so was sei ihm „noch nie vorgekommen“. Und wusste nicht, in welche Rangliste der höchsten Fußballkunst er Evanilson, Ewerthon, Dede und Amoroso bringen sollte. „Die sind alle so laufstark und ballsicher und schnell.“ Und kampfesdurstig. Tatsächlich eine seltene Attributmischung im Fußball. Hier nur gleich viermal. Spiel abgehakt?

Fast. Das Match zwischen dem malochewilligen Kollektiv vom Niederrhein und dem Kombinationskombinat aus dem Ruhrpott war schnell ein giftig verbissener Fight: strauchelnde Körper, prallende Körper, gefällte Körper, verletzte Körper, platte Körper. Fouls und Hakeleien, Schmerzen und Auswechslungen. Am auffälligsten war die Körperfixierung bei den spieltechnisch limitierten Bökelbergborussen, die sich kurios häufig gegenseitig anschossen statt Richtung Tor. Und selbst Westfalenborusse Tomas Rosicky, ausgerechnet der Filigran-Tscheche, hatte zu viel Gebein statt Ball getroffen und war schon nach 37 Minuten platzverwiesen.

In Unterzahl war das BVB-Personal, sonst so oft ohne Herzblut, mit selbst kontrollierter Routine, Arroganz (Lehmann) und auf dem traurigen Weg zum FC Bayern des Ruhrgebiets, zum Arbeitsfußball verdammt. Eine glückliche Liaison, wie auch Michael Meier, der Manager der Auswärtsborussia einräumte: Im nachhinein sei Rosickys Platzverweis „gut gewesen“, das habe „zusammengeschweißt“. Auffallend war aber, wie oft sich Dortmunds Abwehrrecken (der beste war Mittelstürmerriese Koller, der sich fast wund köpfte) gegenseitig herumscheuchen mussten, um immer neue Löcher zu stopfen. Die Existenz der Löcher bedeutet keine guten Aussichten für die morgige vorentscheidende Europacup-Partie gegen Porto.

Abhaken hieße auch, das Kuriosum von Schiedsrichter zu unterschlagen: Jürgen Aust aus Köln. Der einzige Nichtborusse auf dem Platz war die bemitleidenswerte Unfähigkeit in Person. Seine Pfiffe kamen nach dem Losprinzip, ein Zufallsgenerator auf zwei Beinen. Mal falsch hier, mal falscher da. Nach Freistoß für Borussia 1 musste Freistoß für Borussia 2 folgen. Je stärker die Aufregung dort, desto grotesker die Korrektur in der nächsten Szene. Blindenvereine hätten Aust zum Adlerauge des Jahres ernannt, als Oliseh der Ball mittig ins Gesicht klatschte und Aust gelb wegen Handspiel gab. Zahllose Fouls sah er exklusiv (auch beim Elfmeter) und ignorierte Dedes Torwartparade im Strafraum. 90 Minuten Pfiffe nach preußischer Gutsherrenart, womit er die Borussias gemeinsam zum Wahnsinn trieb und zu neuen Körperattacken.

Kein Fingerspitzengefühl, sagt man dazu gern. Aber das greift zu kurz und vernachlässigt Resthand, Arm, vor allem die Augen, Lunge, Lippenspitzen, alle anderen Mundpartien und auch das Hirn: somit alle anderen relevanten Körperteile, die ein Referee zum trefflichen Pfeifen so braucht. Immerhin war Aust hochgradig gerecht in seinen zahllosen Fehlurteilen, zudem war keines spielentscheidend. Somit ein Unparteiischer auf eigene Art.

Borussia hatte Borussia trotz Aust besiegt. Übrigens: Borussia ist der lateinische Name für Preußen und in Kunst und Literatur eine Frauengestalt gewesen, die als Sinnbild der Stechschritt-Dynastie galt. Ja, das Weib und die Macht: Kein Wunder, dass der Männerbund Fußball so sehr um diese eine buhlt. Mit geschlechtsspezifisch viel Körpereinsatz. Es gab halt nur eine Borussia.

Borussia Mönchengladbach: Stiel - Eberl, Nielsen, Pletsch, Witeczek - Hausweiler, Korell (42. Küntzel), Demo - Korzynietz (71. Felgenhauer), Miciel, van Houdt (32. Münch) Borussia Dortmund: Lehmann (29. Laux) - Evanilson, Wörns, Reuter, Dede - Rosicky, Oliseh, Ricken (20. Stevic) - Ewerthon, Koller, Amoroso (46. Kohler)Zuschauer: 34.500; Tore: 0:1 Ricken (13.), 0:2 Ewerthon (23.), 1:2 Demo (78./Foulelfmeter) Gelb-Rote Karte: Rosicky (37.) wegen wiederholten Foulspiels

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