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■ Filmstarts à la carteSchattenwelten

Anfang der vierziger Jahre entwickelte sich mit dem Film noir ein Stil, der allen bisherigen Tendenzen des amerikanischen Kinos zuwiderlief. Düster und verworren präsentierten sich jetzt die Geschichten, deren Helden sich in einer von tiefen Schatten geprägten Welt immer weniger zurechtfanden. Die Gangster wurden psychotischer und die Polizisten korrupter; Freunde erwiesen sich meist als falsch, und die Frauen avancierten zu „Schwarzen Witwen“: Die Amoral wurde im Kino zur Alltäglichkeit. Vor allem aber fanden sich in den Noir-Geschichten plötzlich immer mehr Normalbürger in jene undurchschaubaren Intrigen verstrickt, deren Netze das Schicksal selbst zu weben schien, und aus denen es fast kein Entrinnen gab. Auch der Architekt (Alan Curtis) in „Phantom Lady“ – 1943 von Robert Siodmak nach einer Vorlage von Cornell Woolrich inszeniert – gerät in eine scheinbar ausweglose Situation: Ahnungslos nach Hause kommend, findet er seine Frau ermordet und sein Wohnzimmer voller schweigsamer Finstermänner, die sich erst bei näherer Betrachtung als Inspektoren der Mordkommission heraustsellen. Alle Indizien sprechen gegen ihn, sein Alibi ist löchrig, die mysteriöse Frau, mit der er den Abend verbracht hat, nicht auffindbar: die Todeszelle wartet bereits.

Siodmak schafft eine Atmosphäre der Unsicherheit und Angst: So wirken die Polizisten gerade deshalb besonders bedrohlich, weil sie zunächst einmal gar nichts tun und Curtis im eigenen Saft schmoren lassen. Zu beginn der Sequenz ist allein Curtis aktiv: Er betrachtet die Leiche seiner Frau, tigert im Zimmer auf und ab und erzählt von seinem Alibi. Doch zunehmend wird seine Bewegungsfreiheit eingeengt: Je mehr Fragen auf ihn niederprasseln, umso näher rücken ihm die Polizisten auf den Pelz. Schließlich zeigt ihn eine Nahaufnahme vollständig von Staatsdienern umringt: Es geht ihm buchstäblich an den Kragen.

In einer anderen Szene verfolgt Curtis' Sekretärin (wundervoll die katzenartige Ella Rains) einen der meineidigen Zeugen durch die nächtlichen Straßen bis auf den Bahnsteig einer Hochbahn: eine aus Licht und Schatten komponierte Sinfonie der Spannung, in der das Klackern ihrer Absätze auf dem nassen Asphalt dem Mann mindestens so schaffen machen wie sein schlechtes Gewissen und die grassierende Hitzewelle.

„Zeuge gesucht“, so könnte auch der Titel von „The Enforcer“ lauten, der zur Zeit in der Killer-Reihe im Tacheles zu bewundern ist. In dem Polizeithriller von Bretaigne Windust (und uncredited: Raoul Walsh) mimt Humphrey Bogart einen zähen Staansanwalt, dessen einziger Belastungszeuge gegen einen abgefeimten Gangster noch vor Prozeßbeginn zu Tode kommt. Allerdings sind dafür nicht die Komplizen des Gangsters verantwortlich zu machen, sondern die blanke Angst, die der ehemalige Killer (Ted de Corsia) beim Gedanken an seinen Ex-Auftraggeber verspürt. Die Eröffnungssequenz ist ein Meisterstück der Paranoia im Film: Bewacht von Dutzenden schwerbewaffneten Polizisten soll de Corsia die letzte Nacht vor dem Prozeß im Büro des Staatsanwaltes verbringen. Doch jeder Schatten macht ihm Angst, jedes Telefonläuten versetzt ihn in Panik, in jedem Cop sieht er einen gedungenen Mörder. Der Versuch, sich der Zeugenaussage durch Flucht aus dem Fenster zu entziehen, endet mit seinem Absturz in die Tiefe. „Wir leben in einem schönen, großen Land“, sagt Bogart einmal zu einem Kollegen. In „The Enforcer“, wie überhaupt im Film noir, ist davon nichts zu sehen.

1.11. Camera im Tacheles

Lars Penning

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