: Filme zum Selbermachen
In der Reihe „readings“ lesen Schauspieler aus nichtrealisierten Drehbüchern öffentlich vor. Was wie eine Schnapsidee anmutet, ist inzwischen Kult ■ Von Reinhard Lüke
Wie so oft im Leben trifft es auch in „Acapulco“ am Ende wieder mal die Falschen. Während der gutmütige Penner Kerbs gemeinsam mit der kleinen Enkelin des Bundespräsidenten im Kleinwagen über die Steilklippe saust, haben der karrieregeile Journalist Jochen und seine fotografierende Tussi Julia gut lachen. Sein öliger Chefredakteur ist hoch zufrieden mit der tollen Reportage über einen spektakulären Selbstmord und bietet dem Schreiberling prompt eine Beförderung und höhere Bezüge an. Doch der lehnt dankend ab. Er habe da ein überaus lukratives Angebot von einem Fernsehsender, das er nicht ablehnen könne. Zoom auf das Gesicht des Strahlemanns, Abblende, Ende der Vorstellung, Schlussapplaus.
Applaus? Genau, Applaus. Denn die Menschen, die da am vergangenen Montag im Kölner Alten Wartesaal 90 Minuten „Acapulco“ goutierten, hatten keinen Film gesehen, sondern lediglich sechs Schauspielern beim Lesen des (Dreh-)Buchs zu einem Film gelauscht, den es bislang noch gar nicht gibt. Und womöglich auch nie geben wird. Mit ihren zahllosen Rückblenden und vor allem ihrem rabenschwarzen Humor ist diese bitterböse Satire für deutsche Bildschirme vermutlich um einiges zu kühn gestrickt. Befanden zumindest all jene Produzenten, denen Autor Chris Kraus sein Script bisher auf den Tisch legte. Wenn sie nur dürften, wie sie wollten, so fügten sie ihren bedauernden Ablehnungen gern hinzu, würden sie ja unheimlich gern sofort, weil das Buch wirklich Klasse, aber, aber er wisse ja selbst wie das beim Fernsehen sei. Und so landete „Acapulco“ schließlich bei der Kölner Agentur „Barbarella“, die den Film nun unter Mitwirkung von Mimen wie Georg Uekker, Thomas Morris und Jockel Tschiersch in ihrer Reihe „readings“ zu Gehör brachte.
Öffentliche Lesungen von Drehbüchern – das mutet zunächst wie eine Schnapsidee an. Wo schon die Lektüre von Theaterstücken in der Regel eine eher unersprießliche Angelegenheit ist, würden vermutlich selbst Produzenten und Schauspieler freiwillig kein Drehbuch in die Hand nehmen, wenn sie denn von Berufs wegen nicht müssten. Und welcher Laie führt sich schon Bastelanleitungen für irgendwelche nichtexistenten Regale zu Gemüt, wenn er allabendlich auf allen Kanälen fix und fertig montierte „Regale“ frei Haus geliefert bekommt?
Dennoch sind die „readings“ in Köln inzwischen Kult. Seit April finden sich montags regelmäßig ein paar hundert Leute ein, um für 10 Mark Eintritt nach einer fremden Vorlage ihren „eigenen“ Film im Kopf zu drehen. Manche mit geschlossenen Augen, die meisten jedoch auf die spartanische Bühne starrend, wo es seitens der Schauspieler kaum nennenswerte Hilfestellung gibt. Während die Regieanweisungen von einem „Erzähler“ am Stehpult betont nüchtern referiert werden, sitzen die anderen Akteure im Halbkreis und geben – nach einiger einzigen Durchlaufprobe am Nachmittag – den einzelnen Figuren allenfalls durch Dialekteinfärbungen oder mehr oder minder sparsame Gesten ein wenig Profil.
Doch siehe da, das Experiment funktioniert. Oder sagen wir: Es hat zumindest seinen Reiz. Denn natürlich haben es dialoglastige Filme hier einfacher als solche, die primär auf visuell erzeugte Atmosphäre setzen. (Ein „vorgelesener“ Dominik-Graf-Film hätte mit dem Endprodukt wohl kaum Ähnlichkeit.) Und für rasante Action-Szenen und Schnitte ist das gesprochene Wort schlicht zu langsam.
Geboren wurde diese etwas andere Art der Filmpräsentation, bzw. -rezeption vor fünf Jahren in New Yorker „The Nuyorican Poets Café“, wo inzwischen renommierte Stars eine ganze Reihe Drehbücher „verlesen“ haben, aus denen anschließend doch noch richtige Filme wurden. So etwa Steve Buscemis „Trees Lounge“ oder vor zwei Jahren der von Matthew Harrison inszenierte und von Martin Scorsese produzierte „Kicked in the Head“. Und auch in Köln, wo die „readings“ längst zum Jour fixe für die Scouts von Produktionsfirmen und Fernsehsendern geworden sind, kann man bereits auf ähnliche Erfolge verweisen. Zwei der hier vorgestellten Drehbücher haben inzwischen einen Produzenten gefunden, bei einem dritten steht man in Verhandlungen.
Und wer weiß, vielleicht findet sich ja für „Acapulco“ noch ein Macher, der nicht nur das Drehbuch „irgendwie total interessant“ findet, sondern auch noch den Mut hat, daraus einen Film zu machen. Was ja den Zuhörern vom Montag immerhin die interessante Möglichkeit eines Vergleichs böte, ob ihr „selbstgedrehter“ Film vielleicht doch der bessere war. (Die „readings“ laufen noch bis 4. Oktober montags in Köln. Ab 11. Oktober finden sie wöchentlich in „Clärchens Ballhaus“ in Berlin statt.)
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