■ Schöner leben: Feuilletong!
Es gilt einen Sterbefall zu vermelden. Schleichend und unter Abhusten chronischer Schwächeanfälle ist es aus unserer Mitte gewichen: das Feuilleton. Dem traurigen Vorbild vieler bekannter Tageszeitungen hat sich nun auch die werte Konkurrenz dieses Städtchens komplett angeschlossen. Wo vormals in elegant geschmälter Schrift, von zarten Serifen umrankt, der Rubrikname „Feuilleton“ stolz prangte, dröhnt es nun fett und breit: „Kultur“ – denn so heißt die allerneueste Mode.
Tatsächlich waren die letzten „Feuilleton“-Exemplare wirklich nur mehr eine leblose Hülle dessen, was früher „Feuilleton“ bedeutete. Wer nur einmal in Baudelaires berühmtem Briefroman „Die Maitresse des Dandys“ nachliest, dem wird die ganze Fülle der einstigen journalistischen Kunstform offenbar. „Feuilleton“, das war einmal: die launige, wohlgesetzte Glosse zu allen möglichen Fragen der Zeit; das war: der eminent ausschweifende Fortsetzungsroman; das waren: Nachrichten aus der Welt der Kunst und der Naturwissenschaften. Wo, frage ich, ist heute die luftig gestrickte Geschichte über den letzten Vulkanausbruch oder auch Theaterabend? Und derjenige trete vor, der noch in heiterem Plauderton über das Elend der niederen Volksschichten Bericht zu erstatten vermag.
„Aber, ach! es ist alles Grau in Grau“, wie schon Diderot zu Recht monierte. Nun ist alles „Kultur“; demnächst müssen wir wohl auch noch von unserem geliebten Feuilletonbeutel Abschied nehmen. Und schon sitzt eine „Kultursenatorin“ (eine Frau!) auf dem Platze, der einst dem Feuilletonchef würdig zustand.
Aber der Abschied ist nur ein scheinbarer – jawohl! Die couragierte Redaktion unserer geschätzten Konkurrenz nämlich: Sie heißt nun zwar anders – aber unter dem modischen Tarnmäntelchen „Kultur“ findet sich doch Tag für Tag das gleiche wie zu Kaisers Zeiten schon: „Feuilleton“, oder doch das, was davon übrig blieb und nun, wenn nicht künstlerisch, so doch künstlich am Leben erhalten wird.
So freuen wir uns schon auf die nächsten launigen Elendsgeschichten und die langen Riemen über das Leben am Hofe, im Senat und im Konzertsaale. Uns aber bleibt nur, andächtig zu flüstern: Glückwunsch, Collegen! Weiter so! Thomas Wolff
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