: Feuerteufel mit Niveau
Verheerender Brand im Staatsschauspiel Hannover: Theaterautor ist der Täter
Aus Hannover wird berichtet, ein Mann sei nach der Theatervorstellung statt zum Ausgang hinab, hinauf auf den Schnürboden gestiegen, habe dort unbemerkt bis zur vollständigen Räumung des Gebäudes ausgeharrt und gegen Mitternacht Feuer gelegt. Und zwar so gründlich, dass die anrückenden Löschzüge den ganzen Innenstadtblock, also das Schauspielhaus samt angrenzendem Kunstverein, alsbald aufgegeben und ihre Schläuche südwärts in Richtung Thielenplatz geschwenkt hätten, um den Übergriff der Flammen auf das gut besuchte Paulanerbräu zu verhindern. Das Staatsschauspiel indes wäre bis auf seine Grundmauern niedergebrannt, was der vormals imposanten Front der Prinzenstraße eine deprimierend kariöse Anmutung verliehen habe. Selbst Hannovers Oberbürgermeister Herbert Schmalstieg, der während seiner sehr langen Amtszeit nur ein einziges Mal und zwar anlässlich der Einweihungfeier im Staatsschauspiel gesichtet wurde, dem Personal aber bis heute durch seine feuchte Aussprache erinnerlich geblieben ist, selbst Schmalstieg sprach von einer „unerßäzlichen baulichen wie kulturellen Lücke“.
Für Aufsehen quer durch die Feuilletons der Republik sorgte allerdings weniger dieses Statement, als vielmehr die baldige Ingewahrsamnahme eines jungen aufstrebenden Autors namens Aristide G., dessen Stück „Der Anfang vom Ende des Universums“ just am Abend der Katastrophe im Schauspielhaus zur Aufführung gekommen war. G. gestand ohne Federlesen. Er habe, so rechtfertigte sich der Brandstifter, sein Stück einfach nicht mehr sehen wollen. Nicht, dass die Inszenierung schlecht gewesen wäre. Im Gegenteil. Noch nie hätte der Autor G. Schauspieler mit solcher Hingabe an einem Text arbeiten sehen (und er habe trotz seiner Jugend wahrlich schon einiges mitansehen müssen), das Bühnenbild sei einfach wunderbar und die Regie mehr als stimmig gewesen. Selbst die Striche, so schmerzlich sie einen Autor immer wieder ankämen, müsse man objektiv betrachtet durchaus angemessen nennen.
Es habe ihn ja gerade die unheimliche Präzision des Spiels, die Wahrhaftigkeit des Ausdrucks und eine ihm bis dato nicht möglich scheinende, aber im Laufe der Aufführung ins quasi Überirdische wachsende Schönheit seines Textes wie ein Keulenschlag getroffen. Ab dem dritten Akt sei G. schließlich überzeugt gewesen, dass nichts, was ihm jemals auf einer Bühne oder im richtigen Leben wiederfahren, nichts, was er fürderhin denken oder schreiben werde, sei es in Prosa oder in Versen, dass tatsächlich nichts, und wenn er, G., sage nichts, meine er jenes metaphysisch ausweglose, von Sartre erstmals im Jahre 1938 so schrecklich präzise ausgedeutete Nichts, dass also rein gar nichts vorstellbar ist, was an die Vollkommenheit dieser Aufführung heranreichen könne.
So habe er beschlossen, Ort und Zeit seines unsagbaren spirituellen Glücks durch Feuerlegung zu transzendieren, das Stück damit vor den Niederungen des Aufführungsbetriebes zu bewahren und seine Person in die Obhut der Strafvollzugsbehörden zu geben, denn er wolle lieber bis ans Lebensende Tüten kleben als Gefahr laufen, unter sein Niveau zu sinken. Es gab nicht wenige Kritiker, die ihn ob solcher radikaler Reden für den Büchnerpreis nominieren wollten. Das Landgericht in Hannover blieb davon jedoch unbeeindruckt.
Nachdem man G. drei weitere Theaterbrände in Angouleme, Modena und Cottbus nachweisen konnte, wurde er in die Nervenklinik Ilthen überführt, wo der Autor G., so versichern die betreuenden Ärzte, bis heute tatsächlich nichts außer Ansichtskarten geschrieben hat.
MICHAEL QUASTHOFF
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