: Festgefahrene Denkmuster aufbrechen
■ betr.: „Die feinen Signale erken nen“, Intertaz vom 9. 7. 96, „Der Wittelsbacher“ (Portrait), taz vom 10. 7. 96
Die taz ist doch immer dazu gut, festgefahrene Denkmuster aufzubrechen.
So wurden uns gestern in bezug auf die Türkei „Menschenrechtsverletzung, Folter, Krieg in Kurdistan, islamischer Fundamentalismus, Gefälle von arm und reich, Frauenunterdrückung“ als eher verfehlte Seminarinhalte einer Politikwissenschaftlerin vorgestellt, mit denen wir Top-Manager vor Ort wenig anfangen können, weil wir so etwas im Umkreis unserer Luxuswohnung am Bosperus gar nicht zu sehen bekommen werden.
Statt dessen wurden wir endlich unter der Rubrik „Treffpunkt der Kulturen“ in einem nahezu ganzseitigen Artikel mit den Feinheiten eines „Cross-Cultural-Orientation- Program“ mitsamt Kontaktadresse vertraut gemacht, in welchem wir lernen können, daß in der Türkei die Ablehnung eines Getränks ebenso als unhöflich empfunden wird wie die direkte Kritik an „Land und Leuten“, weshalb es wohl besser ist, man lernt das Programm der „Politikwissenschaftlerin“ gar nicht erst kennen, im Gegensatz zu so wesentlichen Fragen wie der des „offenen oder zugeknöpften Jacketts“.
Ging es da also um Neuorientierungen von sozialen und politischen Sichtweisen auf ein anderes Land, so wird heute in bezug auf unser eigenes die Systemfrage aufgeworfen.
Wer nämlich dachte, daß republikanische Gesinnung bei der taz den historisch erreichten Standard an Fortschrittlichkeit darstelle, wird angesichts des heute erschienenen Nachrufs auf einen gewissen Herrn Albrecht Wittelsbach aus Bayern eines besseres belehrt, dem im übrigen für seine Haltung gegenüber den Nazis wie für das Leiden, das sie ihm zugefügt haben, alle Achtung gebührt.
Erstaunlich aber ist es, daß der Mann in dem „Portrait“ von Thomas Pampuch als „Erbprinz“ bezeichnet wird, an den 1955 „die Thronrechte“ übergegangen seien, auf die der Herzog(!) nie verzichtet habe. Als sympathisch wird der Mann dargestellt, wegen seiner „Volksnähe“ – „volksnah“ kann aber nur jemand sein, der selber nicht zum Volk gehört – und wegen seiner „Liberalitas bavariä“ (mal ehrlich: Dachten Sie, daß es so etwas gäbe?), die darin bestand, daß Albrecht bereits in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die „Hochbegabtenstiftung“ Maximilianeum auch für weibliche Abiturienten öffnete.
Aber auch die übrigen Bayern sind ganz schön „liebenswert“, weil sie „immer noch ein bisserl monarchistisch fühlen“. Insofern stellt sich natürlich die besorgte Frage, ob der „Nachfolger des Verblichenen ... auf den Thronanspruch verzichtet“.
Würde er einen solchen Anspruch öffentlich erheben, müßte dies eigentlich als verfassungsfeindliche Aktivität geahndet werden. Eleganter wäre aber folgende Lösung: Man gestaltet eines der zahlreichen Wittelsbacher Schlösser zweckgerichtet um und stellt ihn dort unter (wie es seinem Stand gebührt – dezente) fachärztliche Aufsicht, dazu die sieben Kurfürsten, von denen es sicher noch einige im Lande gibt, die ihn dann als zweiten Wittelsbacher auf den heiligen Kaiserthron erheben werden. Und Thomas Pampuch wird als Hofberichterstatter akkreditiert, damit er uns in der taz auf dem laufenden halten kann.
Aber: Wie sagte doch – auch heute abend, im ZDF – die Wittelsbacherin Elisabeth von Bayern (Sissi) schon so schön: „Ach Franz, es könnte alles so schön sein, wenn du bloß nicht Kaiser wärst!“ Heinrich Ebbers, Bremen
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