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■ Mögliche OrteFestes und Diffuses: z.B. der Himmel

Orte haben meist Namen, Adressen, eine Geschichte womöglich, die man in der Berlin- Abteilung der Amerika-Gedenkbibliothek nachlesen kann, und Grenzen, die sie von anderen Orten unterscheiden. Der Himmel dagegen ist grenzenlos und deshalb natürlich kein Ort, würden jetzt bestimmt die meisten sagen.

Wenn man jedoch aus dem Fenster schaut, verhält es sich offensichtlich ganz anders: In der Küche zum Beispiel gibt es den Küchenhimmel. Der endet an den Rahmen des schmalen hohen Küchenfensters, ist nicht besonders groß, und morgens ist ein bißchen Sonne drin. Oben wird der Küchenhimmel sauber diagonal von dem Dach begrenzt, das in der Ecke, in der das Küchenfenster ist, über den Hinterhof hinaussteht. Vom Dach hängt ein Dachantennenkabel herunter und geht in eine Nachbarwohnung. Vor ein paar Wochen hatte ich das Kabel durchgeschnitten, um den Tauben das Leben ungemütlicher zu machen. Jetzt hängt es herab und bewegt sich leicht im Wind.

Bevor ich den Mut fand, das Antennenkabel durchzuschneiden, ruhten sich die Tauben immer darauf aus. Jetzt schlüpfen sie durch ein Loch in den Dachstuhl und bevölkerten hitchcockmäßig den Boden. Bis Lech kam und die Tauben vertrieb. Er sagte, er hätte keine Gewalt anwenden müssen. Freundlich hätte er ihnen zugeredet.

Wenn man sich in der Küche vor das Fenster stellt, um noch ein bißchen von der Küchenhimmelsonne abzubekommen, die jeden Tag immer nur fliehen will, stehen im Hinterhof immer zwei Männer herum. Fachmännisch mustern sie die Gegend und trinken dabei Dosenbier gegen Mittag. Später gibt es im Küchenfenster Küchenfensterwolken.

Die Arbeitszimmerwolken sehen besser aus, nur betrachtet man sie seltener, weil man im Arbeitszimmer dauernd auf den Schreibtisch guckt. Nur wenn einem grade nichts oder auch viel zuviel einfällt, versucht man sich an den Wolken festzuhalten. Komischerweise funktioniert das viel besser, als wenn man etwa ständig das Haus gegenüber angucken würde. Die festen Dinge, die unverrückbar im Fenster stehen, machen mich immer fürchterlich nervös.

Das ist so ähnlich wie Zeitunglesen. Allein in der Wohnung macht mir Zeitunglesen zum Beispiel gar keine Freude. Wunderbar ist es dagegen in Cafés oder in den Frühstücksräumen irgendwelcher Hotels. Andere sind zwar anwesend, doch sozusagen nur potentiell. Mit ihrem vielstimmigen Hintergrundgemurmel unterfüttern sie die Zeitungslektüre, die dadurch mehr aktuelle (oder auch potentielle) Wirklichkeit kriegt.

Ähnlich ist es auch auf Reisen, zumindest, wenn man nicht ständig in der Gegend herumgurkt. Da mag man sich noch so anwesend fühlen, ganz dabei und präsent ist man doch nicht, sondern gleich wieder weg. Am besten kann man in Zügen lesen. Sowohl in modernen ICEs, in denen man mit Kopfhörern auf weichen Flugzeugsesseln herumsitzt und der bräunlich getönten Zugfensterwirklichkeit zuschaut, wie sie stumm vorbeiflieht, als auch in tschechischen Zugrestaurants mit wehmütigen alten Gardinen und echten Kellnern.

Begrenzte Orte sind wie feste Meinungen; die im allgemeinen haltlosen Stimmungen sind dagegen wie die diffusen Dinge, die die festen Orte erst als Orte oder Dinge oder Sachen erfahrbar machen: also Farben, Temperaturen, Gerüche, Geräusche. Himmel oder Wolken liegen irgendwie dazwischen. „Die Aufklärung hat es auf die Wolken abgesehen“, schreibt die Agentur Bilwet aus Amsterdam in ihrem „Datendandy“ (Bollmannverlag). „Auf der Seite des Lichts stehend, hat sie den Kampf gegen die Düsternis aufgenommen. Dieser Dualismus macht aus den Wolken einen störenden Faktor, von dem man unter den Laborbedingungen des reinen Denkens abstrahiert.“

Meine traurige Lieblingsmeldung in der Zeitung ging übrigens so: „BANGKOK (dpa). Ein Fallschirmspringer der thailändischen Armee, dessen Fallschirm bei einem Sprung aus 3.000 Metern Höhe sich nicht öffnete, stürzte auf ein Haus, durchschlug mit voller Wucht das Dach und prallte genau auf eine 62jährige Frau, die vor dem Fernseher saß. Der 32jährige Soldat und die Frau kamen dabei ums Leben.“ Detlef Kuhlbrodt

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