Fernsehdrama „Die Ungehorsame“: Die tägliche Demütigung
Überraschend gut: Sat.1 zeigt einen Film über häusliche Gewalt – auf einem Sendeplatz, der sonst Politsatiren und Beziehungskomödien vorbehalten ist.
Die Wände der Küche sind voller Blut, ein Toter liegt auf dem Fußboden, und für die Polizeibeamten ist die Sache klar: Hier hat gerade eine Frau ihren Ehemann brutal mit einer Tranchiergabel niedergemetzelt. Die ersten Minuten des Fernsehfilms „Die Ungehorsame“ (20.15 Uhr, Sat.1) verlaufen nach routiniertem Krimimuster, aber dann entwickelt er sich in eine andere Richtung, wird zu einem aufwühlenden Justiz- und Beziehungsdrama.
Die verschlossene Mordverdächtige (Felicitas Woll) bekommt nämlich eine junge Pflichtverteidigerin (Alina Levshin) zugewiesen, der sie die Vorgeschichte der Tat erzählt und von der sie aufgefordert wird, auch dem Richter alles zu berichten. Durch Rückblenden erfährt der Zuschauer, dass die Angeklagte von ihrem Ehemann (Marcus Mittermeier) jahrelang gedemütigt und geschlagen wurde und keine Chance sah, sich aus ihrer Lage zu befreien. War es also Mord, Totschlag oder eher Notwehr?
Der Autor Michael Helfrich beschäftigt sich schon länger mit dem Thema und sprach vor dem Verfassen des Drehbuchs mit zahlreichen Betroffenen: „Das waren vor allem Frauen, die seit einiger Zeit in Frauenhäusern untergekommen waren oder bereits ihr neues Leben ohne den früheren Partner lebten. Auch in meinem erweiterten Bekanntenkreis traf ich Frauen, die solche Erfahrungen machen mussten. Eine der wichtigsten Erkenntnisse bei den Gesprächen war für mich, dass die häusliche Gewalt ein schablonenartiges Muster aufweist, bestimmte Zyklen hat, die sich ständig wiederholen.“ Dieses Muster, die psychologischen Mechanismen der Täter-Opfer-Beziehung werden in dem Film nun klug aufgearbeitet, von allen Schauspielern überzeugend gespielt und wirkungsvoll in Szene gesetzt.
Schade eigentlich, dass Sat.1 sich nicht häufiger an solch ambitionierte Stoffe wagt, denn offenbar ist man dabei zu sehr guten Ergebnissen fähig, die sich hinter öffentlich-rechtlichen Top-Produktionen nicht zu verstecken brauchen. Aber der Schwerpunkt der Eigenproduktionen, von denen in diesem Frühjahr acht TV-Filme bei dem Sender laufen, ist ein anderer.
Dienstag, 31. März, 20.15 Uhr, Sat.1: „Die Ungehorsame“; Regie: Holger Haase, Buch: Michael Helfrich, Kamera: Uwe Schäfer; mit Felicitas Woll, Marcus Mittermeier, Alina Levshin.
Nur selten drängt sich gehobenes Drama zwischen die Werbeblöcke
„Grundsätzlich steht der Dienstagabend in Sat.1 für die leichte, unterhaltsame Komödie, und das erwarten die Zuschauer auch von uns“, sagt Sat.1-Fiction-Chef Jochen Ketschau und hat vermutlich recht. „Von unseren Produktionspartnern fordern wir mit Nachdruck neue, mutige Stoffe – und das unabhängig vom Genre. Sind wir von Entwicklungen aus den Genres Drama und Krimi überzeugt, dann produzieren wir sie wie in diesem Fall auch.“ Und so gibt es dann also neben den manchmal überraschend quotenstarken Komödien à la „Zwei Familien auf der Palme“ und den immer etwas albernen Politsatiren wie „Der Minister“ eben nur ab und zu ein gehobenes Drama zwischen den Werbeblöcken.
Das Risiko für den Sender besteht nun natürlich darin, dass sich die Stammseher der Dienstagsfilme nicht für „Die Ungehorsame“ interessieren und alle anderen, die sich für solche schweren Stoffe interessieren könnten, den Sender gar nicht auf dem Schirm haben.
Direkt im Anschluss an den Film zeigt Sat.1 eine Dokumentation zum Thema. „Wir wollen zwei- bis dreimal im Jahr solche Themenabende anbieten“, sagt Jochen Ketschau. „In erster Linie dann, wenn der Inhalt unseres Films eine große gesellschaftliche oder soziale Relevanz hat. Gerade haben wir eine bundesweite Studie in Auftrag gegeben, die diese Programmstrategie noch einmal bestätigt hat: 73 Prozent der Befragten sind der Meinung, dass ein Themenabend um ,Die Ungehorsame‘ die Bevölkerung für das Thema häusliche Gewalt sensibilisieren kann.“
Das wäre eine gute Sache, denn Studien zeigen, dass jede vierte Frau im Alter von 16 bis 85 Jahren schon einmal Gewalt durch den Partner erlebt haben. Die Dunkelziffer dürfte weitaus höher sein, und gesprochen wird darüber zu wenig.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?