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Fenster zum Township

Sensibilität, Fantasie, großes Spiel, ein traurig-schönes Märchen und auch ein wenig zu viel von allem Guten: Peter Brook gastiert mit „Le Costume“ bei den Theaterwelten

Irgendwann begann sie ihm neckisch zuzulächeln. Er war schon tage-, vielleicht wochenlang in ihrer Wohnung, saß mit am Frühstückstisch, aß mit zu Mittag, wurde gepflegt, gereinigt, am Abend gefüttert und dann zur Ruhe gelegt. Er war ein Eindringling, und sie fürchtete ihn, aber dann war er auch das Einzige, was überhaupt zum Fantasieren einlud in dieser erkalteten, verödeten Wohnung. Und so ließ sie sich von ihm küssen und gab sich ihm hin, für einen selbstverlorenen Augenblick. Ihm, einem grauen Herrenanzug.

„Le Costume“, ein Drama von Mothobi Mutloatse nach der Novelle „The Suit“ von Can Themba, erzählt die Geschichte einer zerstörerischen Eifersucht, die beginnt, als jener Herrenanzug noch mit Fleisch und Blut gefüllt ist, und erst endet, als die junge Frau tot ist. Sie enstand und spielt in den Fünfzigerjahren in Sophiatown, einer Vorstadt von Johannesburg noch vor der Einführung der Apartheidgesetze. In der Inszenierung von Peter Brook, für den das Township-Theater „ein entfernter Verwandter des elisabethanischen Theaters“ ist, weil es „ein Theater der Vollständigkeit“ sei, ist das Stück nun im Rahmen der Theaterwelten zu sehen.

Es ist das erste Gastspiel des Altmeisters in Berlin seit vier Jahren, als er auf Einladung der Festwochen „Qui est là“ nach „Hamlet“ zeigte. „Le Costume“ erinnert jedoch mehr an eine Produktion, mit der Brook bereits vor zehn Jahren im Haus der Kulturen der Welt gastierte: „Woza Albert!“ von Percy Mtwa und Mbongeni Ngema, ebenfalls ein südafrikanisches Drama, das der Regisseur mit wenigen Mitteln auf die Bühne brachte, ganz auf die plastische Erzählkunst der schwarzen Schauspieler vertrauend. Denn wenn Peter Brook von Vollständigkeit spricht, meint er nie eine additive, meint nie Requisiten, Bühne, Licht und Musik als Gesamtkunstwerk, sondern stets eine qualitative. Ein Theater, das aus sich selbst schöpfen kann, aus dem, was für Brook wesentlich Theater ist: dem Schauspieler.

Für „Le Costume“ wurden auf der Bühne des Schillertheaters im Halbkreis drei Zuschauertribünen installiert. In ihrer Mitte liegt ein Teppich, auf ihm ein Bett, ein Tisch, ein paar Stühle und zwei Kleiderständer, die sich wahlweise auch in Fenster oder Türen verwandeln. Es ist das Haus von Philomen und Matilda oder eine Bar oder eine Bushaltestelle oder der anglikanische Klub verheirateter Frauen – je nachdem, was die vier Schauspieler uns glauben lassen. Tanya Moody als Matilda, Hubert Koundé als ihr Ehemann Philemon sowie Cyril Guei und Sotigui Kouyaté in wechselnden Rollen „spielen“ nicht die Geschichte im Sinne von „ausagieren“, sondern erzählen und illustrieren. Dem afrikanischen Theater ist die Anbindung an die oral tradition und an das Straßentheater anzusehen. Das sieht einfach, fast naiv aus und ist doch erzähltechnisch komplex: die Schauspieler erzählen in der Vergangenheitsform von einer Situation, die sie parallel dazu darstellen, wobei sie ihre Figur abwechselnd in der dritten und ersten Person beschreiben.

Eine Frau betrügt ihren Mann, der sich dafür auf perfide, grausame Art rächt: Der Anzug des nackt geflüchteten Liebhabers wird fortan als Gast in der ehelichen Wohnung behandelt und Sonntags auch mal zur Kirche ausgeführt. Die gedemütigte Ehefrau, einst Sängerin und dann Gelangweilte am Herd, wird von der sprachlosen Erniedrigung in den Selbstmord getrieben. Ein trauriges Märchen, sehr schön erzählt.

Brook zeigt in „Le Costume“ einmal mehr, wofür er geschätzt wird und was ihn zu einem der wichtigsten Theatermacher des 20. Jahrhunderts gemacht hat: sensibel arrangiertes Spiel, das aus Wenigem Viel macht, das aus Fantasie schöpft und Fantasie freisetzt, das Zerbrechlichkeit und Kraft zugleich transportiert. Für diese Kunst wird Brook von einem generationenübergreifenden Publikum geliebt, zu Recht. Ein wenig zu Recht hofft man aber auch, dass sich Brook noch einmal über „schön“ und „sensibel“ und all das, wofür wir ihn lieben, hinwegsetzt und das nächste Mal mit einer Ungeheuerlichkeit nach Berlin kommt.

CHRISTIANE KÜHL

Weitere Vorstellungen: bis 7. Oktober, 20 Uhr, So auch 16 Uhr, Schillertheater, Bismarckstr. 110, Charlottenburg

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