piwik no script img

■ ZWISCHEN DEN RILLENFeierlich schreiten sie dahin

Eeiner der gefragtesten Komponisten des ausgehenden 18. Jahrhunderts war Giovanni Paisiello. Mozart schätzte ihn sehr, und die musikalischen Gemeinsamkeiten in Melodiebildung und Orchestersatz sind unüberhörbar. Ein Beispiel dafür ist Paisiellos La Passione di Gesù Cristo von 1782/83, die nun neu aufgenommen wurde. Paisiello, Neapolitaner, war in erster Linie Opernkomponist. Über 100 Bühnenwerke hat er geschrieben, und auch seine Passione nach einem Libretto von Metastasio ist eine Oper. Nach der kurzen Ouvertüre eröffnet Petrus die Szene mit einem Klagerecitativ, in dem er sich mitleidig selbst bespiegelt. Er, der sich laut Bibelbericht feige zurückgezogen hatte, erhält nun Gelegenheit, sich anzuklagen und zu bereuen. Moralisch schwer angeschlagen steht er den aufrecht Getreuen gegenüber: Magdalena, Johannes und Joseph von Arimatea. Musikalisch liegt die Gewichtung anders. Die große Partie des Pietro erfüllt Miroslava Kacprzak meisterlich, mit wunderbar warmer und voller Stimme. Nur in den rasanten Koloraturen könnte man sich vorstellen, daß die Kastratenbesetzung des 18. Jahrhunderts überzeugender war. Halina Górzynska als Magdalena wird dagegen in der Höhe und in den Koloraturen beängstigend dünn, auch das metrische Fundament wackelt mitunter. Die chorischen Einlagen sind in dieser Passionsoper vergleichsweise unbedeutend. Zu Beginn hatte ihnen der Komponist offenbar noch eine strukturierende Rolle zugedacht, zweimal greifen sie ein, schließlich fungieren sie nur noch als Finalchöre. Doch dafür müßten sie zupackender geführt sein. Allzu feierlich schreiten sie in religiöser Rührung dahin. Da scheint den Warschauern das südländische Temperament des Komponisten suspekt zu werden. Als klassische Alternative zum schwergewichtigen Bach ist die Aufnahme allemal hörenswert, nicht zuletzt wegen der gefühlsstarken Stimme von Miroslava Kacprzak.

***

Mitte des 16. Jahrhunderts, also lange vor Bach, enstand die Johannespassion von Cypriano de Rore. Obwohl zu seiner Zeit bereits durchkomponierte Motettenpassionen üblich waren, griff Rore auf mittelalterliche Modelle zurück. Die Struktur des Ablaufs, auch das Gesangsmelos ist ganz in der Gregorianik verwurzelt. Nicht eben typisch für Rore, für den Vortrag lateinischer Texte aber einleuchtender als der Stil italienischer Madrigale. das „Huelgas Ensemble“ bemüht sich nun, vermeintlich fehlenden Ausdruck nachzuschieben, was aber unsinnig ist. Der kunstvoll komponierte gregorianische Textvortrag sollte ruhig und selbstverständlich wirken. Die eifernd bebenden Stimmen des „Huelgas Ensembles“ dagegen suchen nach Gefühlsausbrüchen, wo keine sind, und lassen die Komposition dadurch oft flach und banal erscheinen.

***

Weit entfernt davon, etwaigen Gefühlen musikalischen Ausdruck zu verleihen, sind zwei Sopransolisten aus den USA. „The Treble Boys“ liefern nicht die versprochenen „Wonder Solos and Duets“, sondern ein peinliches Beispiel für das Überangebot des Plattenmarktes. Stephen van Dyck und Ted Huffman schmuggeln sich mit schlechten stimmlichen und gesangstechnischen Voraussetzungen und unter dilettantischer Instrumentalbegleitung quer durch die Musikgeschichte. Gerade noch anhörbar sind die letzten beiden Stücke O bone Jesu von Richard Dering und Humperdincks Abendsegen. Also Vorsicht! Nicht vergleichbar mit Bejun Mehta, einem wirklichen amerikanischen „wonderboy“, und keinesfalls vergleichbar mit den hervorragend ausgebildeten Solisten des Tölzer Knabenchors (dessen Nachwuchschor regelmäßig mit Folkloremüll im Fernsehen feilgeboten wird). Sie haben jetzt den zweiten Teil der Kleinen geistlichen Konzerte von Heinrich Schütz vorgelegt (Capriccio 10388). Wenngleich der gegenüber dem ersten Teil (Capriccio 10293) etwas schwächer ausfällt, so gibt es auch hier einige Glanzleistungen der jungen Solisten, Christian Fliegners anspruchsvolle Verzierungen in Herr, ich hoffe darauf etwa, oder das Hodie Christus natus est. Obgleich mit recht unterschiedlichem Stimmaterial ausgestattet, überzeugen die Solisten durch die Sicherheit und Aufrichtigkeit, mit der sie Sprachstruktur und Wortinhalt gleichermaßen in der Musik nachvollziehen. Das ist das Wesentliche in den Kompositionen von Schütz, und das vermitteln die Tölzer höchst anschaulich.

Giovanni Paisiello: La Passione di Gesù Cristo. Mit der Warsaw Sinfonietta, dem Warsaw Chamber Opera Chorus unter Leitung von Wojciech Czepiel. Magna Musik CD2210250.

Cypriano de Rore: Johannespassion.lgas Ensemble. Leitung: Paul van Nevel. BMGRD77994

The Treble Boys: Wonder Solos and Duets.FONONCD85514

FEIERLICHSCHREITENSIEDAHIN

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen