: Fehlen Kids, kommt die „Schule für alle“
Fehmarn will die Gemeinschaftsschule – weil es schlicht nicht genug Schüler für vier Schulformen auf der Insel gibt
Die Beamten des Landesrechnungshof heben mahnend den Rotstift. Schon jetzt gibt es auf der Insel Fehmarn (Schleswig-Holstein) klitzekleine Grundschulklassen, teilweise mit nur zehn Kindern. Und die Gruppen werden immer kleiner. Noch kommen jährlich 120 von den 13.000 Einwohnern in die Schule. Bald werden es nur noch 100 sein. Fehmarn sucht nach Auswegen.
Otto-Uwe Schmiedt, Bürgermeister der Stadt Fehmarn, sieht die Sache nüchtern. Die Kämpfe in Berlin und Kiel um die Frage, ob die dreigliedrige Schule besser ist als ein integrative oder Gemeinschaftsschule, ist ihm herzlich egal (siehe Kasten). Er plant zusammen mit den Insulanern die „Schule für alle“ aus reinem Pragmatismus. Denn bei der demogrfhischen Entwicklung wird es schlicht nicht genügend Kinder für alle Schulen Fehmarns geben. Ein Inselgymnasium, eine Realschule, eine Förderschule, eine Haupt- sowie vier Grundschulen buhlen um die kleinen Fehmarner.
„Auf Fehmarn hat man ähnliche Vorstellungen wie im Finnland der Sechzigerjahre“, vergleicht Rainer Domisch die Situation mit der beim Pisa-Dauersieger im hohen Norden. „Man will eine Schule für alle Kinder, um Schülerinnen und Schüler mit hohen Begabungen wie auch mit großen Defiziten gleichermaßen zu fördern.“ Domisch arbeitet beim finnischen Zentralamt für Unterrichtswesen. Seit Pisa ist der Deutsche Vortragsreisender in Sachen Schulerfolg – auch in Fehmarn war er.
Der parteilose Bürgermeister Schmiedt ist vom finnischen Konzept auch aus pädagogischen Gründen überzeugt. „Die Durchlässigkeit der Schule für alle ist extrem wichtig. In unseren Schulen geht es sonst meist zurück, selten nach vorn.“
Schmiedt möchte zunächst alle seine vier Grundschulen erhalten. Der Bürgermeister will die Erkenntnis nutzen, dass Bildung viel früher beginnen müsste. Daher soll es zwischen Kindergärten und Grundschulen keine starren Grenzen mehr geben. Ab dem 3. Lebensjahr sollen Kinder hier wie da leben und lernen. Jahrgangsübergreifend und den eigenen Möglichkeiten entsprechend. Väter, Mütter, Pädagogikstudenten und auch Arbeitslose unterstützen die Lehrer als Schulassistenten im Unterricht. Anders geht es nicht an Schulen, in denen manchmal nur zweieinhalb Lehrer arbeiten.
Schmiedt verspricht sich von dem Konzept eine bessere Förderung der Fähigkeiten jedes einzelnen Kindes – und letztlich dadurch eine höhere Rate derer, die am Ende das Abitur schaffen.
Die Ironie ist, dass mit dieser Strategie das Gymnasium der Insel langfristig zu retten wäre. Nur eine Schule für alle könnte den Nachschub für die Eliteanstalt verbreitern. Die Zahl an Schülern für ein ausreichendes Kursangebot wird nämlich langsam knapp. In den nächsten Jahren werden die Anmeldezahlen um etwa weitere 20 Prozent sinken. „Auf Fehmarn machen zu wenig Jugendliche Abitur“, seufzt Schmiedt. Obendrein will der Kreis sparen, in dessen Trägerschaft das Gymnasium ist. Würde die Unesco-Projektschule aber geschlossen, müssten die Fehmarner Jugendlichen täglich aufs Festland fahren. Schmiedts überraschende Losung für die Schule für alle heißt daher: „Weiter Abitur auf Fehmarn!“
Der Bürgermeister wäre schon froh, wenn alle Schüler bis zur sechsten Klasse zusammen unterrichtet werden könnten. Lieber noch wäre ihm jedoch das finnische Konzept: eine Schule für alle bis zur 9. Klasse. Oder sogar noch länger. Aber das könne er als Schulträger alleine gar nicht entscheiden.
Die Fehmarner waren mit ihrer Idee bereits im Kieler Ministerium. Dort wurden sie wohlwollend beraten. Kultusministerin Ute Erdsiek-Rave (SPD) gehört zu den Politikerinnen, die laut über die Schule für alle nachdenken. Sie will es den Schulen im Land freistellen, die komplizierte dreigliedrige Struktur zu überwinden. Die CDU sowie die Gymnasial- und Realschullehrerverbände sind strikt dagegen.
Noch aber gibt es vieles zu klären. Auf Fehmarn hat sich zunächst eine Arbeitsgruppe gebildet. „Im nächsten Jahr sollen die Diskussionen weitergehen“, sagt Schmiedt. Dann hat das nördlichste Bundesland gewählt – und es ist klar, ob die Schule für alle das Fehmarner Gymnasium retten kann. SANDRA WILSDORF