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Feelgood in Gurkenmaske

In ihrem Film „Agnes Browne“ inszeniert Anjelica Houston Mädchenträume im Stil des kapitalistischen Realismus

Eine Witwe mit sieben Kindern, angewiesen auf die Almosen des Staates und der Kirche, bedrängt von Schulden, aber moralisch unterstützt von der Solidargemeinschaft Pub – kein Zweifel, wir sind in Irland. Anjelica Houston hat dort große Teile ihrer Kindheit verbracht, allerdings nicht in Armut, sondern auf dem schlossartigen Anwesen ihres Vaters John Houston. Es muss ihr Kleinmädchentraum gewesen sein, eine Rolle wie die der Agnes Browne in „Frauen unter sich“ zu spielen: Eine Frau, die sich nicht unterkriegen lässt, den Widrigkeiten des Schicksals mit Säugling auf dem Arm erfolgreich trotzt, im Abendkleid umwerfend aussieht und von allen geliebt wird – nur vom bösen Kredithai nicht.

„Frauen unter sich“ spielt zwar nicht im Mittelalter, sondern im Jahre 1967, aber für die altehrwürdige Institution der katholischen Kirche, die doch noch immer die Seele Irlands beherrscht, macht das kaum einen Unterschied – abgesehen von kleinen Auswirkungen der sexuellen Revolution. Im konkreten Fall bedeutet das, dass Anjelica alias Agnes und ihre beste Freundin Marion sich kichernd über „Organismen“ unterhalten. Auf jeden Witz folgt allerdings gleich die Kümmernis (oder umgekehrt). Marion bekommt denn auch prompt Krebs, was sie dem sündhaften sexuellen Genuss zuschreibt, wie es sich für eine gute Katholikin gehört.

Im Ganzen bewegt sich „Frauen unter sich“ also in sehr vorhersagbaren Bahnen. Sobald der freundliche französische Bäcker ins Bild kommt, weiß man, dass die vom Leben geplagte Witwe hier Trost finden wird. Auch die Anstrengungen der weiblichen Nachbarschaft, Agnes für die erste Verabredung durch Gurkenmasken etc. zu einem besseren Aussehen zu verhelfen, haben auf der Leinwand eher literarischen Charakter – Frau Houston sieht natürlich während des gesamten Films stets blendend aus (sollte man wohl auch, wenn man mit fast fünfzig eine 34-Jährige spielt).

„Frauen unter sich“ muss man wohl ins Genre des Feelgoodmovies einordnen, in dem die Regeln des kapitalistischen Realismus strikt befolgt werden: Dem/der positiven HeldIn erscheinen alle Probleme lösbar, das Ende vermittelt beschwingte Zuversicht in den morgigen Tag.

Um nicht in den Niederungen trister Alltäglichkeit zu versinken, wird da gern ein Moment höherer Transzendenz eingesetzt: In diesem Fall heißt das Tom Jones. Früh im Film taucht ein Konzertplakat von ihm auf. Je länger sein Erscheinen auf sich warten lässt, desto fulminanter wird sein Eingreifen sein, denkt sich der Zuschauer.

Tatsächlich lässt das Finale von „Frauen unter sich“ da wenig zu wünschen übrig. Einerseits von unüberbietbarer Peinlichkeit – Tom Jones spielt mit viel Mut zur Entblößung sein um 30 Jahre jungeres Ich – findet der Kleinmädchentraum andererseits hier seinen stimmigen Ausgang: die Entführung aus all dem Elend im schicken Auto unter euphorischer Anteilnahme der Zurückbleibenden. In seiner Surrealität hat dieses Ende etwas mehr als Wahrscheinliches, wirkt es doch so, als werde Anjelica Houston in ihr wahres Leben heimgeholt. BARBARA SCHWEIZERHOF

„Frauen unter sich“. R: Anjelica Houston. Mit A. Houston, Marion O’Dwyer,Ray Winstone, USA 1999, 92 Min.

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