: Fanny Müller: Fahrrad
Bevor das vegetarische Restaurant in den Alsterarkaden abbrannte, war ich häufig dort zu Gast, denn selbst zu Stoßzeiten hatte man seine Ruhe – die meist vereinzelt sitzenden älteren Gäste waren fortwährend in Gespräche vertieft, an denen außer ihnen sonst niemand teilnahm...
Dort hatte ich einmal ein zunächst beschämendes Erlebnis, aber dann wendete sich doch noch alles zum Guten:
Als ich eines Mittags das im ersten Stock liegende Restaurant betrat, winkte mich ein mir bekannter Professor der Philosophie an seinen Tisch, aber ich lehnte ab, weil ich einen Platz haben wollte, von dem aus ich mein nicht angekettetes Fahrrad beobachten konnte (Trust in Allah, but watch your camel, wie der Araber sagt). Der Prof ist zwar ein netter Typ, aber nicht unbedingt von der Sorte, mit der man eine lange Bahnfahrt verbringen möchte. Oder anders gesagt: Wenn Sie ein Regisseur wären, und ein Double für Walter Matthau bräuchten, dann würden Sie bei seinem Anblick Ihre Suche als beendet betrachtet haben.
Kaum hatte ich nun Platz genommen, da fing er über drei Tische weg an zu toben: ...typisch deutsch...wenn man in Griechenland eine Einladung ausschlägt, kriegt man gleich 1 Messer zw. die Rippen...gegenüber materiellen Dingen sind hier gute Gespräche marginal...usw.
Es war mir schrecklich peinlich, aber da ich mich als Kosmopolitin betrachte, erhob ich mich, pilgerte an seinen Tisch und schließlich unterhielten wir uns auch ganz friedlich über seine These: Die voll entwickelte Fähigkeit zum Neinsagen ist der einzig gültige Hintergrund des Ja, und beide geben realer Freiheit erst ihr Profil.
Später, auf der Polizeiwache hinter dem Rathausmarkt, führte ich dann noch ein anregendes Gespräch mit dem Wachhabenden über die Pflege von Phönix-Palmen, nachdem die Formalitäten erledigt waren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen