: Familiensinn als Grundlage
■ Beim Ringtennis zählen Schnelligkeit und Ausdauer / Ernstgenommen wird der Sport, der auf Hochseeschiffen entstand, dennoch nicht Von Martin Golob
Das Gerät aus Schwammgummi saust im Affenzahn über das Netz. Millimeter vor dem Boden wird es gefangen und dann – wie ein bereits angezündeter Sylvesterböller – möglichst fix in die Spielhälfte des Gegners geworfen. Ohne Pause wird auf den eigenen rund 20 Quadratmeteren gehopst, gehechtet, abgestoppt und geworfen – bis das ominöse Sportgerät dann doch einmal auf dem Linoleum aufditscht. Unerfahrene Zuschauer wundern sich, daß mit so einfachen Mitteln ein Spiel zustande kommt, das von Athletik und Belastung her verwandten Sportarten wie Badminton oder Tennis kaum nachsteht.
Als einen „lebensbegleitenden Sport“ definiert der mehrfache Deutsche Meister vom HFK Hamburg, Mario Müller ,das, was Ostersamstag in der Sporthalle Angerstraße als Hummel-Turnier präsentiert wurde. Auf der nach oben offenen Altersskala mischten in Hohenfelde Sportler aus der ganzen Bundesrepublik bei einem von fünf großen Turnieren in diesem Freizeitsport mit.
Ringtennis, unter den Fittichen des Deutschen Turner-Bundes laufend, wurde 1927 entwickelt – auf Hochseeschiffen versuchte man damals das Decktennis so zu gestalten, daß nicht dauernd der Ball über Bord ging. Der damalige Karlsruher Bürgermeister Hermann Schneider brachte den Ring und die Sportart aufs Festland, die seitdem vergeblich auf den großen Durchbruch wartet – im Ausland ist sie kaum bekannt, in Deutschland gibt es rund 1 000 Aktive in 75 Vereinen. Ein eigener Ringtennisverband wurde zwei Jahre nach der Gründung wieder aufgelöst.
Daß die Sportart, die wohl nie olympisch werden wird, überhaupt noch existiert, läßt sich am ehesten mit dem „Familiensinn“ seiner Anhänger erklären. Über zwei Drittel aller Neueinsteiger kommen durch Verwandte zum Ringtennis, meist sind es die Eltern. Bei Falko Schreiber war es die ältere Schwester. Der ehedem erfolgreiche Jugendspieler des HFK begann im Alter von zehn Jahren und blieb bis heute dabei. Warum denn ausgerechnet Ringtennis und nicht Squash oder Tennis? „Is' billiger!“, liefert der 21jährige eine wenig idealistische Erklärung.
In der Tat ist Ringtennis ein preiswertes Vergnügen. Alles was benötigt wird, ist ein 225 Gramm schwerer Schwammgummiring, ein Netz – das war's. Wenn im Sommer auf dem Gelände des Freibads Volksdorf trainiert wird, ist nicht einmal Sportkleidung vonnöten – man spielt nackt. Schließlich ist der HFK kein geringerer als der Hamburger Bund für Freikörperkultur und Familiensport „Das ist praktisch“, meint Gelegenheits-Nudist Mario Müller, „wenn es zu heiß wird, springen wir einfach ins Wasser.“ Die Dame von der Turnierleitung schwärmt dazu vom FKK-Strand an der Ostsee, an dem Ringtennis und nicht etwa Beachvolleyball regiert.
Am Sonnabend blieben die Akteure der acht teilnehmenden Vereine jedoch wettkampfgemäß verhüllt. „Bei Turnieren steht der Spaß im Vordergrund“, so der 33jährige Müller. Im Punktspiel sehe das anders aus. „Da kommt man schnell auf 180.“ Bei jedem Ballwechsel müsse der innere Schweinehund überwunden werden, beschreibt Müller den Reiz des schweißtreibenden Spiels.
Ernstgenommen wird Ringtennis dennoch nicht: Immergrünen Vorurteilen zufolge ist es ein neckisches Treiben durchgeknallter Nackedeis. „Was für Pimmelflitzer“, heißt es oft verächtlich. Doch wer beim Ringtennis mithalten will, muß über ein vielseitiges Wurfrepertoire verfügen. Könner lassen den Ring elegant in die Ecken fliegen und treiben die Kontrahenten mit ihren Würfen aus der spielgünstigen Platzmitte. Bei soviel Tempo wäre mancher Besserwisser schon nach wenigen Spielzügen k.o.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen