Familie und Gedöns: Von ostdeutschen Superfrauen
Berufstätigkeit, Familie, Haushalt – das verbinden Mütter im Osten mit links. Um diesem Mythos zu entkommen, hilft manchmal nur die Flucht.
G erade komme ich aus Innsbruck zurück. Hinter mir liegt eine ungewöhnliche Woche. Ich habe so lange geschlafen, bis ich von allein wach wurde. Bin so lange gewandert, wie mir der Sinn danach stand. Und ich habe gegessen, wann und was ich wollte.
Klingt normal? Für mich ist es das nicht. In meinem Alltag bin ich permanent mit den Bedürfnissen anderer konfrontiert: Ich bin noch satt, aber das kleine Kind hat schon wieder Hunger. Ich möchte gerne durch den Wald wandern, aber das große Kind findet nichts öder als das. Ich würde gerne ausschlafen, aber der Mann weist mich darauf hin, dass ihm dieses Privileg heute zusteht.
Ich kann mich nicht erinnern, wann ich mich das letzte Mal für mehrere Tage nur um mich gekümmert habe, keine Verhandlungen führen, keine Kompromisse machen musste. Und dann wuchs mir in den letzten Wochen alles über den Kopf. Auf jegliche Gemütsäußerung von Mann und Kindern habe ich gereizt reagiert. Am Ende konnte ich mich selbst nicht mehr leiden.
Mit der Reise nach Innsbruck bin ich nicht nur dem täglichen Aufstehen-Betten-machen-Stullen-schmieren entflohen, sondern auch einem Mythos. Ich wollte eine dieser ostdeutschen Superfrauen sein, von denen immer zu hören ist. Spielend leicht bringen sie volle Berufstätigkeit, Kinder und Partnerschaft unter einen Hut.
Im Rahmen der „Zukunftswerkstatt“ der taz erscheint jeden Freitag statt der Neuland-Seite eine eigene Seite für Leipzig, die taz.leipzig: geplant, produziert und geschrieben von jungen Journalist*innen vor Ort.
Sie haben Anregungen, Kritik oder Wünsche an die Zukunftswerkstatt der taz? Schreiben Sie an: neuland@taz.de. Das Team der taz.leipzig erreichen sie unter leipzig@taz.de
Hier dient ausnahmsweise der Osten mal als Vorbild. „Seht mal“, werden westdeutsche Mütter, die zu Hause bleiben oder in Teilzeit arbeiten, ermahnt „die da drüben kriegen das doch auch hin.“ Die Wahrheit ist, schon zu DDR-Zeiten waren ostdeutsche Frauen ständig zwischen ihren Rollen hin- und hergerissen.
Und wenn ich in die abgekämpften Gesichter der Mütter um mich herum blicke – zermürbt von schlaflosen Nächten, die Angst im Nacken, dem Arbeitgeber erklären zu müssen, warum das Kind schon wieder krank ist, und gefangen in Kämpfen mit ihren Männern um die Aufteilung von Haushalt und Kinderbetreuung – dann ist das auch heute noch so.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Parteitag der CDU im Hochsauerlandkreis
Der Merz im Schafspelz
Misogynes Brauchtum Klaasohm
Frauenschlagen auf Borkum soll enden