piwik no script img

Familie und Folter am Festtag

■ Familienfest und andere Schwierigkeiten entstaubt die Familienbeziehungen

Claudia (Holly Hunter) ist Restauratorin. Mit einem Staubpinsel macht sie sich in der ersten Szene, eingeschlossen unter ihrem Walkman, an die Wiederherstellung einer Ikone. Auch wenn das zunächst nahelegt, daß es in Familienfest und andere Schwierigkeiten um die Wiederherstellung alter Werte geht, so wird schnell klar, daß der Restauratorin Jodie Foster an der Sichtbarmachung von bisher Verborgenem gelegen ist. Mit Pinsel und Cutter ausgerüstet, macht sie sich daran, das eigentlich zur Soap Opera abgewanderte Genre der Familienkomödie vom Staub zu befreien.

„That's Life“. Als Claudia entlassen wird, knutscht sie in verzweifelter Umnachtung den verknöcherten Chef, um später auch noch zu erfahren, daß ihre Tochter am selben Tag ihre Unschuld verlieren will. Im Radio läuft wie zum Hohn „That's Life“. Eben einer dieser Tage, die man am besten in eine Streichholzschachtel steckt, die man am Bahnhof zurückläßt. Doch Claudia muß aufgelöst zum traditionellen Thanksgiving zu ihren Eltern.

Und hier zeigt Jodie Foster mit Scharfblick den familiären Klammergriff, die psychologischen Finessen, mit denen jede Familie den Mitgliedern angestammte Positionen zuweist. Gleich am Flughafen wird sie in den rosafarbenen Steppmantel der plappernden Mutter gesteckt. Die Tür zum Badezimmer wird offengelassen: „Ich dusche gerne öffentlich“, resigniert Claudia mit Schaum im Gesicht. „Ich bin ja erst vier Jahre alt.“ Claudia, selbst Mutter, liegt in ihrem Kinderzimmer, zieht sich die Decke über den Kopf und spürt, daß sie mit wenigen Gesten wieder zum Kind gemacht wurde. Dagegen hilft auch kein Joint.

Als nach und nach die Familienmitglieder, samt gelangweilter Rotzgören, eintrudeln, gerät der Festtag endgültig zur Folter. „Ich kippe gleich um“, wird in verschiedenen Varianten Claudias Lieblingsspruch. Mit übertriebener Zuvorkommenheit („Soll ich nicht den Truthahn auftischen, Mum?“) wollen sich alle von ihrer besten Seite zeigen, reden fortwährend aber aneinander vorbei. Wenn Tante Glady (Geraldine Chaplin) bei Tisch gesteht, wie der Schnauzer des inzwischen angedickten Familienvaters vor 43 Jahren in ihrem Gesicht piekte, ist es jedoch aus mit der geschönten Oberfläche. Die familiären Konfliktvermeidungsstrategien greifen nicht mehr und alle fallen mit Enthüllungen übereinander her, bis die Füllung des Truthahns über die spießige Schwester purzelt.

Es kommt zu diversen Aussprachen, bei denen aber die Allianzen zwischen den Geschwistern nicht mit einem Mal aufgehoben werden, sondern eher einzelne Figuren, wie die „Verantwortungsziege“ Joanne, feinere Schattierungen bekommen. Auch versinkt nicht alles in Tränen und Umarmungen, wie sonst in Hollywood üblich; Claudias Satz „Wir müssen uns nicht lieben, aber wir sind verwandt“, scheint auch noch am Ende des Films gültig zu sein. Ob sie nun wollen oder nicht, die Familienmitglieder in Familienfest haben etwas gemeinsam – und wenn es nur zehn glückliche Sekunden auf einem Rollfeld im Jahr 1969 sind, die der niedliche Vater auf verwackelten Super-8-Filmaufnahmen im Keller archiviert. So zeigt Familienfest den Prozeßcharakter der Familienbeziehungen auf, deren Teilnehmer entweder zuviel voneinander wissen (Eltern) oder zu wenig (Geschwister). Offene Stellen werden so angedeutet, die in eine Richtung weisen. Vor Rückschlägen ist aber niemand gefeit. Familienfest und andere Schwierigkeiten muß man selbst fortschreiben. Aber wie verabschiedet sich der Vater noch? „Bis zum nächsten Thanksgiving, wenn da nicht so ein Idiot noch Weihnachten dazwischengelegt hätte!“ Volker Marquardt City, Gloria, Holi, Oase, Zeise

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen