: Fall Azhar jetzt vor Gericht
■ Täter gesteht Auseinandersetzung, nicht aber die rassistische Motivation
Tiergarten. Der Überfall auf den pakistanischen Doktoranden Mahmud Azhar wird seit gestern vor dem Landgericht verhandelt. Azhar war am 7. Januar von dem 26jährigen Thomas H. überfallen worden und acht Wochen später an den Folgen einer Lungenembolie gestorben. Wie der medizinische Gutachter gestern vor Gericht aussagte, stand die Lungenembolie in direktem Zusammenhang mit den Verletzungen durch den Überfall. Ob und wie der Täter, ein Schreiner aus der ehemaligen DDR, den Pakistani mit rassistischen Äußerungen beleidigte, wird für das Strafmaß entscheidend sein.
Nach Aussagen zweier Zeugen, die mit dem Opfer nach dem Überfall sprachen, und nach einem Gedächtnisprotokoll, das Azhar noch im Krankenhaus anfertigte, sprach der Täter den Akademiker auf dem Parkplatz vor dem FU-Institut für Biochemie an. Er habe den Ausweis Azhars verlangt und ihn mit Sprüchen wie »Ausländer verrecke« beleidigt. Um Konflikten aus dem Weg zu gehen, sei Azhar dann ins Institutsgebäude zurückgegangen. Der Täter habe ihn verfolgt und ihn mit den Worten »Ich bring dich um« mit einem Feuerlöscherteil angegriffen. Dabei wurde Azhar an Kopf und Knie verletzt.
Der Angeklagte behauptete, im Laufe des Sonntags zwischen zehn und 20 Gläser Bier, zwischen zwei und fünf Gläser Whiskey sowie drei verschiedene Sorten Schmerztabletten eingenommen zu haben. Um DDR-Geld zu wechseln, so Thomas H., sei er gegen 19Uhr in das unverschlossene Institutsgebäude gegangen. Im Gebäude habe Mahmud Azhar sofort die Polizei angerufen. Dies habe den Angeklagten so erregt, daß er das Telefon »vom Tisch haute«. Weil Azhar ihn festgehalten habe, habe er sich gewehrt und ihn mit dem Rohr des Feuerlöschers auf den Kopf geschlagen. H. wollte sich weder an einen Sturz Azhars erinnern, noch an ausländerfeindliche Sprüche aus seinem Munde.
Dieser Version widersprach Rechtsanwalt Dieter Kierzynowski, der für die Angehörigen Azhars die Nebenklage vertritt. H. könne Azhar nicht erst im Institutsgebäude angetroffen haben, weil beide Türen des Instituts von außen nur mit einem Schlüssel zu öffnen seien. Bei der polizeilichen Anhörung hatte Azhar die Beleidigungen aus Angst vor Repressalien verschwiegen. Lediglich einem Polizisten hatte er von den ausländerfeindlichen Beleidigungen erzählt — der diese Aussage jedoch wegen »Zeitdrucks« nicht in die Akten aufnahm.
Gegenüber der taz sagte Staatsanwalt Lucas Wedhorn, daß er die Anklage von »Körperverletzung mit Todesfolge« voraussichtlich auf »gefährliche Körperverletzung« herabstufen werde. Es sei für den Täter »nicht vorhersehbar« gewesen, daß sein Opfer infolge der Verletzungen sterben würde. Ein Strafmaß von rund zwei Jahren hält er für angemessen. Rechtsanwalt Kierzynowski sprach sich gegen die Herabstufung der Anklage aus. Bei »Körperverletzung mit Todesfolge« sei schon die Unvorhersehbarkeit des Todes einbezogen, andernfalls wäre es Mord. Rochus Görgen
Die Verhandlung wird am Donnerstag um 9Uhr im Amtsgericht Moabit, Turmstr. 91, Raum 500, fortgesetzt.
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