: Fähnchen, Ballons und rein verbaler Radikalismus
■ 30.000 GewerkschafterInnen zeigen dem Bonner Sparpaket die „Rote Karte“
Der politische Konsens wird durch einheitliche rote Gewerkschafts-Käppis mit einem rührenden „Wir wehren uns“ darauf zur Schau gestellt. Ihre TrägerInnen schunkeln indes zu Dixielandjazz von der zentralen Bühne auf dem Rathausmarkt.
Rund 30.000 Menschen fanden sich am Samstag dort ein, um gegen das Bonner Sparpaket zu demonstrieren. Eine Woche vor der entscheidenden Abstimmung im Bundestag am 13. September zeigten sie dem Sozialabbau die „rote Karte“. In 14 Sonderzügen und mehr als 100 Bussen kamen die GewerkschafterInnen auch aus Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern nach Hamburg zu der Protestveranstaltung, die vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) und der Deutschen Angestelltengewerkschaft (DAG) organisiert wurde.
Auf Plakaten am Rande und in den Redebeiträgen von der Bühne prangern DGB, DAG, ÖTV, HBV, IG Metall und GdP die in Bonn geplante Aufhebung des Kündigungsschutzgesetzes an sowie den Wegfall der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, die Kürzungen der Rente und der Arbeitslosenunterstützung. „Wenn ein Familienvater mit einem Bruttogehalt von 3.500 Mark demnächst sechs Wochen krank ist, verliert er rund 600 Mark“ rechnet die Vorsitzende der HBV, Margret Mönig-Raane, vor. „Das ist für viele die Miete. Wer soll die bezahlen?“
Entgegen der Panikmache der Regierungskoalition könne, ja müsse die BRD sich den Sozialstaat leisten, betonte der Verbandsleiter der DAG in Hamburg, Uwe Grund. Die Deutsche Bank, so sein Beispiel für die florierende Wirtschaft, werde in diesem Jahr einen Rekordabschluß vorlegen, gleichwohl jedoch ihr Personal reduzieren. Auch die größte Hamburger Reederei, die Hapag-Lloyd, habe die beste Jahresbilanz seit ihrem Bestehen – und betreibe geschäftsinternen Sozialabbau.
Vor allem für Frauen zeichnet Grund ein düsteres Zukunftsszenario: „Die Oma muß länger arbeiten, die Tochter ist arbeitslos, und die Enkelin findet keinen Ausbil-dungsplatz. Das ist Frauenförderung nach Kohl und Merkel!“ In ihren Forderungen sind die RednerInnen weit entschiedener als die Gewerkschaftsbasis auf dem Rathausmarkt. Die hat sich mehr mit DGB-Fähnchen, DAG-Ballons und HBV-Plakaten geschmückt als mit aussagekräftigeren Transparenten, so daß eher der Eindruck einer Gewerkschafts-Werbeveranstaltung entsteht als der einer Demonstration gegen falsche Politik.
Polemiken wie „Helmut Kohl - auch auf Sie können wir verzichten“ kommen schon als die radikalsten Aussagen daher. Dennoch will die Vorsitzende des DGB-Landesbezirks Nordmark, Karin Roth, eine „Panik auf der Titanic“ ausgemacht haben, und Gabriele Beckmann von der Erwerbslosenhilfe in Schwerin erinnert daran, daß „1989 gezeigt hat, daß das Volk eine gewaltige, verändernde Kraft ist“.
Elke Spanner
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