piwik no script img

FRESS-KULTUR

■ Der Kulturträger Maus auf der FBK

Am Sonntag ging ein Künstler nackt durch die Ausstellungshallen der FBK. Im Schlepptau zog er klappernd Mausefallen hinter sich her. Wenn Kunst die Krönung der Kultur ist, so ist ihr Thron im Werk Vincenzo Moxedanos leer. Und wo der Thron leer ist, wird auf ihre Abwesenheit verwiesen. Die Aura der Kunst, der ein paar Plätze einmal im Jahr auf der FBK freigehalten werden, geht auf ihren Thron über. Was als Bild auf ihre Abwesenheit verweist, wird selbst zur Kunst.

Auf purpurnem Brokat des „Kulturthrons“ finden sich Glückssymbole, die neapolitanische Spielkarte, Symbole der Liebe: ein silbernes Herz, ein Herz aus Teig, versetzt mit Glassplittern; dazwischen, alles verklärend, beherrschend, die Sonne. Inmitten der Sonne eine Handfläche: des Künstlers Signatur. Als Profillinie der Rückenlehne überragt der Vesuv den gesamten Aufbau.

Alles ist in Rot getaucht: Lava, Sonnenglut, Blut, aber auch Coca-Cola. Die „culture“ in den Lettern der amerikanischen Wunderbrause wartet auf die Kunst. Unter dem Sitz jedoch, mit dem Kopf nach unten, hängt deutsches oder italienisches Brauchtum: Bier, respektive Weinflaschen.

Auf einem Schwarzweiß-Foto am Fuße des Throns, sieht man die Rückenansicht des nackten Neapolitaners. In der Hand trägt er einen Koffer. Da wird alles drin sein, was er zum Leben braucht. Die „culture“, der Thron aus Holz, Papier, Alufolie, Perlhuhnfedern, Spiegeln, Splittern, Blütenblättern und biologischem Vollkornbrot wartet auf ihre Inbesitznahme.

Es kamen Genießer, die das „Gratis Kultur“, das über der Stelle hängt, ganz ernst nahmen; die Kunst ganz philosophisch als „don gratuit“ begriffen: Mäuse. In zwei Tagen fraßen sie zwei Kilo Glassplitter-Teigherz, ohne erkennbare Verletzungen davonzutragen. „Berlin und Neapel“, so sagt der Künstler, „verfügen eben doch über einige Gemeinsamkeiten: Mäuse, Bewohner von Ritzen und Nischen ... Lebewesen, vor denen andere ihrem Schrecken freien Lauf lassen.“

Die angesprochene Ausstellungsleitung konnte nichts gegen die Nager unternehmen. So baute Moxedano die Mäuse in sein Kunstkonzept ein. „Gelobt sei, was Erkenntnis fördert.“

Der 24jährige, auf dem Foto war er weggegangen, kehrt am letzten Sonntag um 13 Uhr mit zwei Freunden zu einer Performance zurück. In seinem Koffer finden sich ein Spirituskocher, eine Dose mit japanischem Espresso, eine kleine Espressoherstellkanne, Kaffeecreme oder Nutella, Brot, natürlich biologisch, Schilder, auf denen steht: „Gedankenübertragung“, ein Foto des Brotherzens, das an die Stelle des restlos Zernagten gehängt wurde, und einige Mausefallen. Der Weg wird gezeichnet, den die Bilderstürmer genommen hatten, Brotstücke, aus denen Buchstaben ausgeschnitten waren - es ergab sich: EMC2 - dienten als Köder. Nutellabrote werden gereicht, den Hunger der Zuschauer nach Kultur zu stillen. Und Cornelius Perino, Deadlineartist, ein lieber Freund des Künstlers, zelebriert ein „Berliner Früh-stück“: aus längs entzweigeschnittenen Currywürsten + Draht und garniert mit Ketchup. Die so entstandenen Insekten symbolisieren den Aristophanesmythos platonischer Erotik und können so auch kopulierend nie zu sich kommen. Übersteuert durchs Mikro sprach jemand von der Gleichzeitigkeit von Ursache und Wirkung: Die Künstler, die Mäuse sind (Moxedano) - besetzen den Ort, der ihnen einmal im Jahr als Brosamen gewährt wird, um die Kunst im gleichgültigen Einerlei zu vernichten. Abfotografiert im Prozeß ihres Aufgefressenwerdens, wurde die Kunst so zum Bild ihrer eigenen Reproduzierbarkeit.

Detlef Kuhlbrodt

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen