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FORUM INTERNUM£

■ Keine Gleichschaltung, sondern das Gegenteil: Auf dem Plenum wurden Selbstblockaden gesprengt

Otto Kallscheuer

Vorweg: Das Ende ließ erschrecken! Nach Abschluß der Debatte und Abstimmung über die Kündigung zweier Redakteurinnen wegen der - von ihnen auch in dieser Diskussion erneut als „Recht auf Experimente“ verteidigten - mangelnden Sensibilität im „spielerischen“ Umgang mit antisemitischen Stereotypen und Sprachspielen mit Zyklon-B-Mordmaschinen, nach all dem entblödet sich eine gestandene linksradikale Redakteurin nicht, nunmehr im deutschen Vereinswesen die fälligen arbeitsrechtlichen Konsequenzen einzuklagen: Was die taz jetzt, nach dieser politischen Kündigung, brauche, sei ... ein Betriebsrat.

Dennoch: Was den zentralen Streitpunkt dieser politischen und „Personaldebatte“ betrifft, hat das taz-Plenum moralisches Augenmaß und politische Reife bewiesen. Die taktischen (Selbst)Blockaden wurden gesprengt. Ich meine folgende Argumentationsmuster:

-Ein Verbot bestimmter Sprachspiele („gaskammervoll„; „furioser Kaufbetrieb“ jüdischer Kunstsammler...) - deren antisemitische Töne von keinem der Anwesenden bestritten werden konnten - bedeute einen Verlust an antiautoritärer Freiheit und komme damit einem „inquisitorischen Verfahren“ stalinistischer Prägung gleich;

-Eine personalpolitische Konsequenz (Entlassungen) aus diesem sprachpolitischen Skandal diene (als Beseitigung von sich selbst so definierenden „Störern“ mit Provo-Bonus) in Wahrheit anderen Interessen: der Machtergreifung „der Inlandsredaktion“ (so einer der Kritiker), die damit die taz dem mainstream der Republik gleichschalten wolle;

-Ein moralischer Rigorismus in dieser Frage des unaufgearbeiteten Erbes deutscher Vergangenheit müsse schließlich unweigerlich zum Verlust kultureller Innovationsfähigkeit führen: KulturredakteurInnen warnten vor Adenauerei („Keine Experimente!“) in der redaktionellen Arbeit.

Eine unterschwellige Angst, der Antisemitismus-Streit in der taz sei im Grunde nur ein „Hexenhammer“ für andere Zwecke, war wochenlang die eigentliche Blockade der Debatte gewesen. Eine Parallele - nicht die naheliegende zur Jenninger-Affäre - kommt mir in den Sinn: Die gleichzeitig in Karlsruhe tagende grüne Bundesversammlung war von den „Ökosozialisten“ unter der Devise angegangen worden, eine offene Behandlung des grünen Finanz-Skandals aus strömungspolitischen Rücksichten zu verhindern oder doch zu begrenzen; und gerade über dieses machtpolitische Kalkül ist die grüne „Fundi„-Vorstandsmehrheit gestolpert. Die grünen Delegierten in Karlsruhe hatten das Primat der Taktik satt, also ein Denken, das man in Italien dietrismo nennt: hinter jedem Argument „etwas dahinter“ zu vermuten moralische Fragen durch den Hinweis auf das cui bono zu entkräften.

Mir scheint: In analoger Weise ist am Samstag in Berlin der Versuch taz-interner „Flügel“ oder Gruppen gescheitert (ich nenne sie mal mit der Naivität des outsiders: die „Linksradikalen vom Dienst“ und die Besitzstandswahrer „postmoderner Verantwortungslosigkeit“), eine notwendige Debatte über Konsequenzen aus einer Verwahrlosung sprachlicher Sorgfaltspflicht in der Zeitung auf einen „Linienkampf“ einzugrenzen. Unabhängig von ihren diversen Loyalitäten oder Lagern - also: jede(r) für sich - bewiesen die taz-MacherInnen am Wochenende ihre wohl wichtigste Autonomie - die ihrer Urteilskraft. So - und: wider (mein) Erwarten - wurde das taz-Plenum trotz aller Peinlichkeiten zum Forum, auf dem sich ein moralisches Minimum an „Gemeinsinn“ und journalistischer Berufsethik behaupten konnte, nämlich: Will ich mich als Macher/Säzzer/Redakteur...einer Zeitung verstehen, in der antisemitische Wortspiele als kulturelle Avantgarde firmieren dürfen? Diese - für jeden individuelle, aber verallgemeinerbare - Gewissensfrage siegte über den Cliquengeist und gab den Ausschlag in der Abstimmung. Das Votum war somit vor allem - und darin liegt auch ein Stück Emanzipation der taz vom funktionalistischen Geist eines Teils der marxistischen Tradition - ein Urteil aus dem moral sentiment, dem moralischen Empfinden heraus: Bei Wortspielen mit Auschwitz, bei sprachlichen Tabuverletzungen, die mit rassistischen Stereotypen hantieren und damit Menschenwürde verletzen, bei Formulierungseffekten, die auf die Existenz antisemitischer Affekte spekulieren, hört die Freiheit der Grenzverletzung auf.

Zu diesem Ergebnis haben auch die Plädoyers der kritisierten Redakteurinnen selbst beigetragen - denn die vielzitierten „genialen jungen Schreiber“, für die beide Redakteurinnen ihren trotzigen Opfergang anzutreten bereit waren, glänzten leider durch Abwesenheit (und suchten bei Herman Brood „alles was die taz nicht hat... das dreckige Lachen, Herz und Sex“, taz-Berlin-Kultur, 5.12.88). Es war die Verteidigung einer Medienredakteurin („Ich lasse mir meine Assoziationen nicht verbieten...“), die als Exempel die vox populi angeführt hatte - eine REAL-Verkäuferin, die beim Einkauf des Morgenmüslis nachfragt: „Na was ist denn nun aus Eurem taz-'gaskammervoll‘ geworden?“ -, die allen Anwesenden die Gefahren einer neuen Gewissenlosigkeit der Worte vor Augen führte: Die taz könnte durch „postmoderne“ Lockerungsübungen dazu beitragen, einer Inflationierung (und das heißt immer auch: Relativierung) von Vokabeln aus dem Horizont der nationalsozialistischen Massenvernichtung alternative Weihen zu verleihen. Die kurzschlüssige Beliebigkeit zwischen Sprache und Stacheldraht - das Verbot antisemitischer Wortspiele erinnerte eine der beiden Redakteurinnen an ihre Jugend in der DDR, als man ihr das Trällern von Westschlagern verboten hatte: somit sei die (Selbst-)Zensur „aus dem Geiste antifaschistischer Schutzwälle“ geboren - oder: das bewußt/unbewußte Spielen mit anti-alliierten Assoziationen der Nachkriegszeit - „Wir haben keine Entnazifizierung mehr nötig“ - mußte auch die tazler erschrecken machen, die ursprünglich vor der Konsequenz einer für dieses Alternativprojekt neuen „politischen Kündigung“ zurückschreckten.

Charles Taylor hat jüngst im Denken und Streben der Moderne zwei Bedeutungen von „Befreiung“ unterschieden: die Befreiung der menschlichen Natur (die eine moralische ist) von gesellschaftlichen und herrschaftlichen Zwängen - das ist die Tradition von Rousseau, Kant, Schiller, Marx usw. und die Befreiung ästhetischer Konstruktion und Kreation von allen (auch den moralischen) Grenzen der menschlichen Natur

-das ist die Tradition Nietzsches und Ezra Pounds Beide Traditionen - moralische Moderne und ästhetische Postmoderne - müssen sich nun nicht überall und in jeder Hinsicht in die Quere kommen. Wenn sie dies aber tun - und dies ist bei einer „postmodernen“ Collage aus antisemitischen Provokationen wider den liberal-humanistischen common sense gewiß der Fall (etwa der in der taz vor kurzem zu lesenden Creation „liberal-humanistischer Holocaust“) -, dann muß man sich entscheiden. Taylor sagt: in einem solchen Fall - put moral in commands. Wie mir scheint - und zu Recht - hat sich auch die taz dafür entschieden.

Natürlich gehört es zum Selbstverständnis der taz, „sich auch mit ritualisierten Formen von Antifaschismus in der bundesdeutschen politischen Kultur auseinanderzusetzen“ (Georgia Tornow) - aber dies darf nicht auf dem Wege des geringsten Widerstandes erfolgen: dem einer Entwertung, Vergleichgültigung des Grauens.

* (lat.: Gewissen)

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