FDP-Politikerin über Sexismus: „Ohne Gegenwehr endet es nicht“
Wer sich in ihrem Kreisverband frauenfeindlich äußert, muss Strafe zahlen, erzählt FDP-Politikerin Doris Buchholz. Doch Sexismus sei nicht nur ein Problem der Liberalen.
taz: Frau Buchholz, weder Rainer Brüderle noch ein anderer Freidemokrat hat bisher bestritten, dass sich die Szene, die eine Stern-Journalistin schildert, so abgespielt hat. Ist Ihr Spitzenkandidat ein sexistischer Chauvi?
Doris Buchholz: Ich weiß nicht, ob die Schilderung, auf die Sie anspielen, stimmt. Ich war nicht dabei.
Brüderle soll eine 29-jährige Kollegin auf ihre Oberweite angesprochen haben. Für einen solchen verbalen Übergriff wäre eine Entschuldigung fällig.
Wie gesagt: Ich kann und werde mich zu dem konkreten Fall nicht äußern. Es ist nichts bewiesen. Ich wundere mich allerdings schon, dass die Journalistin eine solche Story ausgerechnet jetzt öffentlich macht.
Weil Brüderle jetzt Spitzenkandidat ist. Und weil Medien auch strategisch denken und Porträts dann veröffentlichen, wenn das Interesse an Politikern größer wird.
Vor einem Jahr gab es mehrere Artikel, die Probleme von Frauen in der FDP thematisierten …
53, ist Bundesvorsitzende der Liberalen Frauen. Die Anwältin ist eine der Erstunterzeichnerinnen der „Berliner Erklärung“ für eine gesetzliche Frauenquote.
Der Tenor war, dass Freidemokraten Parteifreundinnen gern als schmückendes Beiwerk auf Plakaten sahen, sie aber nicht als ernsthafte Politikerinnen wahrnahmen. Sie selbst kritisierten den „Männerverein FDP“.
Damals wäre die ideale Gelegenheit für den Stern gewesen, den Vorfall zu thematisieren. Ich habe keine Ahnung, warum die Redaktion es jetzt macht.
Führende Liberale sagen, die Journalistin wolle Brüderle bewusst beschädigen. Dieses Argument ist doch ein Ablenkungsmanöver – es schiebt einer Frau, die eine schmierige Anmache öffentlich macht, die Schuld zu. Das ist billig.
Ihre Interpretation.
Wenn Sie sich zu dem Fall Brüderle nicht äußern wollen, mal allgemein gefragt: Was würden Sie einem Mann antworten, der sich in einer Arbeitssituation über Ihren Busen äußert?
Solche Äußerungen gehen – im Beruf und anderswo – überhaupt nicht. Das wäre eine Grenzverletzung, die ich mir offensiv verbitten würde.
Sie würden also Frauen raten, sich zur Wehr zu setzen?
Ja, Frauen müssen sich wehren. Sonst fühlt sich der Belästigende als Sieger. Und wird schon ein paar Tage später den nächsten dummen Spruch machen. Ohne Gegenwehr endet es nicht.
Zehntausende Frauen erzählen im Internet Erlebnisse von Belästigungen. Finden Sie gut, dass eine Großdebatte über Sexismus entbrannt ist?
Diese Debatte ist nötig und wichtig. Sexismus und Abwertung findet man in allen gesellschaftlichen Bereichen. In der Politik, in der Wirtschaft, in der Werbung. Männer sind sich oft gar nicht bewusst, dass manche Äußerungen Frauen verletzen. Solche veralteten Verhaltensmuster werden zum Glück nun neu diskutiert. Früher wurde eine Frau in die Ecke gestellt, wenn sie sich über blöde Anmachen beschwerte. Das hat sich geändert.
Sie selbst sind seit Langem in der FDP im Saarland aktiv. Haben Sie in dieser Zeit Abwertung erfahren, weil Sie eine Frau sind?
Ich habe in einer Sitzung mal erlebt, dass ein Parteifreund betonte, er wolle vor allem attraktive Frauen auf Wahlplakaten. Das lief nach dem Motto: Sex sells. In der FDP gibt es – wie in anderen Parteien auch – immer noch überholte Denkmuster.
Gab es auch blöde Sprüche über Sie?
Nein, das nicht. Mein Mann war acht Jahre lang Kreisvorsitzender im Saarland, und wir saßen in der Regel zu zweit in Sitzungen. Da hätte sich niemand getraut, etwas Abwertendes zu sagen. Aber klar, Sprüche gibt es immer. Einer sagte mal in einer Vorstandssitzung: „Stellen wir uns mal dumm wie eine Frau …“ Daraufhin haben wir ein Strafschwein auf den Tisch gestellt. Einen Euro für ein Handytelefonat während der Sitzung, zwei Euro für einen frauenfeindlichen Spruch. Das half.
Frau Buchholz, ich werde den Eindruck nicht los, dass Sie doch eine sehr klare Meinung zu dem Brüderle-Vorfall haben.
Netter Versuch. Aber vergessen Sie es. Von mir werden Sie keine Spekulationen über Szenen hören, die sich auch ganz anders abgespielt haben können.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin