piwik no script img

FDGB: Bürokratischer Torso mit Milliardenvermögen

Berlin (taz) — Heute vormittag um Punkt zehn Uhr soll der letzte öffentliche Akt des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes (FDGB) beginnen. Die einstige DDR-Massenorganisation mit etwa zehn Millionen Mitgliedern ist seit November letzten Jahres zu einem bürokratischen Torso heruntergekommen, dem nominell aber noch ein Milliardenvermögen gehört. Der erste der beiden Tagesordnungspunkte des auf nur vier Stunden Dauer angesetzten Kongresses sieht die „Auflösung des Bundes durch den Sprecherrat der Gewerkschaften“ nebst Begründung vor. Dagegen dürfte sich seitens der Delegierten kaum noch Protest erheben.

Der zweite Tagesordnungspunkt hingegen beinhaltet den eigentlichen Sprengstoff: Aufteilung und Liquidation des gewaltigen FDGB-Vermögens, das diese Massenorganisation im Verlauf von über 40 Jahren durch Mitgliedsbeiträge und Soli- Spenden angesammelt und teils wundersam vermehrt hat. Im Unterschied zum DSU-Gesetzentwurf, der generell eine Enteignung der früheren DDR-Blockparteien und Massenorganisationen vorsieht, fordern die Mitglieder der Einzel- und Industriegewerkschaften (EG/IG) mindestens das 1933 von den Nationalsozialisten enteigenete Eigentum behalten zu können.

Am 2.November 1989 hatte der fast 15 Jahre nahezu unumschränkt herrschende FDGB-Vorsitzende Harry Tisch zurücktreten müssen. Tischs Nachfolgerin Annelies Kimmel zeigte seinerzeit nur ungenügende Aufräumbereitschaft und hielt sich nur einen Monat im Amt. Der unterentwickelte Wille zum Ausmisten des FDGB-Stalls setzte sich aber offensichtlich fort. Ein im Dezember '89 eingesetzter Sprecherrat legte auf dem außerordentlichen FDGB- Kongreß Anfang Februar '90 einen äußerst lückenhaften Untersuchungsbericht vor. Klarheit in die undurchschaubaren FDGB-Vermögensverhältnisse zu bringen, war aber das Hauptanliegen vieler Mitglieder, die sich nach dem Desaster einen gewerkschaftlichen Neuanfang wünschten. Die Hinhaltetaktik des im Februar neu gewählten FDGB-Vorstandes und seiner Vorsitzenden Helga Mausch veranlaßte den Hauptvorstand der IG Bergbau- Energie-Wasserwirtschaft (IGBEW) am 8. Mai zu einem Mißtrauensvotum gegenüber dieser FDGB- Führung. Die übrigen EG und IG zogen mit, und so hatte sich der FDGB seither mit dem Beschluß zu seiner Auflösung abzufinden. Vertreten wurde der Organisationsrumpf FDGB seit Mai erneut von einem Sprecherrat, dem diesmal die Vorsitzenden der EG und IG und einige Mitglieder des Interims-Sprecherrates angehören. Zum End-Kongreß sind, wie es heißt, nur noch rund 150 Delegierte geladen. Wieviele davon tatsächlich kommen werden, um am Begräbnis ihrer einst übermächtigen Organisation teilzunehmen, wußte in der FDGB-Zentrale am Märkischen Ufer gestern niemand zu sagen. jon

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen