FC Bayern nach dem 0:5: Menschliche Maschinen

Die Männer des FC Bayern haben die 0:5-Schmach mit einem 5:2 über Union gerächt. Gern gehasst zu werden ist im Instagram-Zeitalter fast subversiv.

Julian Nagelsmann in zivil in Aktion, im Hintergrund das Stadion

Ein Echsenmensch ist er immerhin nicht: Julian Nagelsmann Foto: Thilo Schmuelgen/reuters

Es ist schon aussagekräftig für den deutschen Männerfußball, wann Menschen außerhalb seiner Bubble mittlerweile über ihn sprechen. Grob zusammengefasst: bei Fifa-Skandalen, Impfdebatten und wenn die Bayern verlieren. Diese Woche sprach man mal wieder über Fußball, denn der FC Bayern war gedemütigt worden. 0:5 im Pokal gegen Gladbach, höchste Pokalniederlage, erneutes Ausscheiden in der zweiten Runde, you name it.

Weil man beim FC Bayern nicht dermaßen hoch verliert, musste Wunderkind Julian Nagelsmann sogar demütig davon sprechen, dass er „einen der traurigsten Momente meiner Karriere“ erlebt habe, als habe er gerade eine Katze überfahren. Gladbach dürfe nicht noch mal passieren, „wenn man eine ordentliche Halbwertszeit bei Bayern München haben möchte“. Er hat sicher mal bei Niko Kovač nachgehört, wie das so läuft nach fünf Gegentoren.

Nun ist die Schmach getilgt, der FC Bayern hat mit 5:2 auswärts bei Union Berlin gewonnen. Mit einigen Unsicherheiten in der Defensive, aber nicht nur die dominante erste Halbzeit verweist auf die Unterschiede zwischen Kovač und Nagelsmann: Dessen Halbwertszeit ist nicht angekratzt. Überhaupt kann man schon mal vergessen, wie jung dieses abgezockte Hamstergesicht eigentlich ist. 34 Jahre, da pendeln die meisten Spieler noch zwischen Auslaufen und Playstation.

„Wir sind Menschen und keine Maschinen“, hat Nagelsmann nun gesagt. Gott sei Dank, ein Echsenmensch ist er also nicht. Auch nicht der ähnlich gruselig erfolgreiche und aalglatte Jo­shua Kimmich, der das zumindest war, bis er begann, übers Impfen zu reden. Zwei Maschinen sind kurz menschlich geworden. Und man weint leise nach Niko Kovač, der für Menschlichkeit in der Branche warb. Oder dem Jupp.

Das Grinsen der Verlierer

Sportlich sagt die Pleite zumindest vorläufig nichts, wirklich aussagekräftig ist eher die Reaktion. Mal angenommen, Borussia Dortmund, der aktuell ärgste Verfolger, wäre mit 0:5 aus dem Pokal ausgeschieden. Wie viele Deutsche hätten davon überhaupt Notiz genommen? Und wie viele Leute außerhalb von Gelsenkirchen hätten Schadenfreude gezeigt? Eben. Das gebleckte Grinsen ist das Grinsen der Verlierer, ein Grinsen, wie wenn die Lehrerin sich aufs Furzkissen setzt. Am Ende des Schuljahrs entscheidet trotzdem sie darüber, wer sitzen bleibt und wer nicht.

Die national vereinende Schadenfreude ist kindisch, naiv und Ausweis der uneinholbaren bayrischen Dominanz. Der Hass, wenn der FC Bayern mal poliert wird, ist, wie es schon Oliver Kahn begriff, ein großes Kompliment. Und, um es mit Nagelsmann zu sagen: „Wir sind fehlbar. Aber das gibt uns Lehren für die Zukunft und Ansätze, damit das nicht noch einmal passiert.“ Darin ist Robert Lewandowski Pionier. Mit zwölf Toren in zehn Spielen ist er wieder dabei, in die unfassbaren Breitengrade von Gerd Müller vorzustoßen. Er hat die Annäherung des Menschen an die Maschine unfallfrei perfektioniert.

Geschrumpfte Titanen

Bloß: Roboter liebt das Volk nicht, von R2D2 vielleicht mal abgesehen. Oliver Kahn erlebte die einzigen beiden Momente nationaler Liebe in ersehnten Augenblicken der Schwäche: als er im WM-Finale 2002 patzte und als er 2006 Platz für den ebenso durchgeknallten Jens Lehmann machte, ohne ihn zu erwürgen. „Der Titan ist geschrumpft – zu neuer Größe“, schrieb da mal ein findiger Journalist. Der Hansi vom Stammtisch hat nichts gegen Titanen, wenn sie zwischendurch mal schrumpfen.

Uli Hoeneß erlebte ungeahnte Liebe gerade, als er aus dem Knast zurückkehrte. Und macht die Nagelsmann’sche Küche ihn nicht irgendwie kultig? Gewiss. Aber Julian Nagelsmann wird lieber allen Hass der Welt auf sich ziehen, als noch mal Gladbach zu erleben. In einer Welt, die von Instagram-Herzchen regiert wird, ist das lächelnde Achselzucken der Bayern gegenüber Hass fast schon subversiv. Nur Thomas Müller ist eine Maschine zum Knuddeln. Für den Rest gilt: echte Liebe ist für zweite Plätze.

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Jahrgang 1991, studierte Journalismus und Geschichte in Dortmund, Bochum, Sankt Petersburg. Schreibt für die taz seit 2015 vor allem über politische und gesellschaftliche Sportthemen zum Beispiel im Fußball und übers Reisen. 2018 erschien ihr Buch "Wir sind der Verein" über fangeführte Fußballklubs in Europa. Erzählt von Reisebegegnungen auch auf www.nosunsets.de

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